Sexuelle Gewalt in der Kirche: Verändertes Verfahren zur Anerkennung des Leids Betroffener

Im Bistum Osnabrück trat zum 1. Januar 2021 eine neue Verfahrensordnung zur Anerkennung des Leids Betroffener von sexueller Gewalt in Kraft. Das bereits seit 2011 in der deutschen katholischen Kirche praktizierte Verfahren zur materiellen Anerkennung erlittenen Leids wird damit abgelöst. Das neue Verfahren sieht unter anderem die Festlegung und Auszahlung von Leistungen durch eine unabhängige Kommission auf Bundesebene sowie einen größeren Leistungsrahmen vor, der sich am deutschen Schmerzensgeldrecht orientiert.

Die neue Verfahrensordnung wurde im November vom Ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzt und soll ab dem 1. Januar in allen deutschen (Erz-)Bistümern zur Anwendung kommen. In der Präambel zur Verfahrensordnung heißt es: „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen sowie an schutz- oder hilfebedürftigen Erwachsenen – gerade wenn Kleriker, Ordensleute oder Beschäftigte im kirchlichen Dienst solche Taten begehen –, erschüttert nicht selten bei den Betroffenen und ihren Angehörigen sowie Nahestehenden und Hinterbliebenen das Grundvertrauen in die Menschen und in Gott. In jedem Fall besteht die Gefahr schwerer physischer und psychischer Schädigungen. Erlittenes Leid kann nicht ungeschehen gemacht werden.“ Durch die materiellen Leistungen soll gegenüber den Betroffenen zum Ausdruck gebracht werden, dass die Bistümer Verantwortung für erlittenes Unrecht und Leid übernehmen.

Dabei liegt die erste Verantwortung zur Erbringung von finanziellen Leistungen beim Täter. Wo Täter verstorben sind oder nicht im notwendigen Umfang belangt werden können, werden die Leistungen in Anerkennung des Leids durch die (Erz-)Diözesen als Zeichen der institutionellen Mitverantwortung erbracht. Das Bistum Osnabrück wird entsprechende Leistungen nicht aus Kirchensteuer-Einnahmen finanzieren, sondern aus Mitteln des Bischöflichen Stuhls. So wird zugleich sichergestellt, dass Betroffene auch dann Leistungen erhalten, wenn nach staatlichem Recht vorgesehene Ansprüche gegenüber dem Beschuldigten wegen Verjährung oder Tod nicht mehr geltend gemacht werden können.

Das Verfahren zur Anerkennung des Leids verläuft in fünf Schritten:

1. Personen, die als minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene sexuellen Missbrauch erlebt haben, wenden sich an die unabhängigen Ansprechpersonen des Bistums (Antonius Fahnemann, Telefon: 0800-7354120, E-Mail: fahnemann@intervention-os.de oder Irmgard Witschen-Hegge, Telefon: 0800-0738121, E-Mail: witschen-hegge@intervention-os.de).

2. Die unabhängigen Ansprechpersonen führen ein Gespräch und können beim Ausfüllen des Antragsformulars unterstützen.

3. Der Antrag wird vom Bistum an die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) weitergeleitet.

4. Die Unabhängige Kommission legt eine Leistungshöhe fest und weist die Auszahlung an Betroffene an.

5. Die Geschäftsstelle der Unabhängigen Kommission informiert die betroffene Person sowie das zuständige Bistum und zahlt die festgelegte Summe direkt aus.

Zur Transparenz und Unabhängigkeit des neuen Verfahrens trägt insbesondere die UKA auf Bundesebene bei. Ihr gehören sieben Frauen und Männer an. Sie ist interdisziplinär mit Fachleuten aus Medizin, Recht, Psychologie und Kriminologie besetzt. Die Mitglieder stehen in keinem Anstellungsverhältnis zu einer (Erz-)Diözese oder einer anderen kirchlichen Einrichtung und arbeiten weisungsunabhängig. Die Mitglieder der UKA wurden für ihre Aufgabe vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz ernannt. Ihre Namen sind wurden auf der Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht.

Nach der neuen Verfahrensordnung können Betroffene verschiedene Leistungen erhalten. Die UKA kann, orientiert an den Urteilen staatlicher Gerichte, Leistungen von bis zu 50.000 Euro festlegen. Bei besonders schweren Härtefällen sind höhere Leistungen oder anderweitige Unterstützungen mit Zustimmung des zuständigen (Erz-)Bistums möglich. Zusätzlich können – wie bisher – Kosten für Therapie- und/oder Paarberatung übernommen werden. Personen, die bereits in der Vergangenheit einen Antrag gestellt und Leistungen erhalten haben, können einen erneuten Antrag stellen. Für diese Personen gibt es ein verkürztes Antragsverfahren; entsprechend Betroffene im Bistum Osnabrück wurden per Brief bereits auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht.

Weitere Informationen sowie Antragsformulare und andere Dokumente zur neuen Verfahrensordnung finden sich auf der Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz.