Unsere jüdischen Wurzeln

Davidstern mit Kreuz
Bild: AdobeStock.com, Alex Ishchenko

Jesus kehrte, erfüllt von der Kraft des Geistes, nach Galiläa zurück. Und die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. Er lehrte in den Synagogen und wurde von allen gepriesen. So kam er auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesája. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

Lukas 4,14-21

 

Das Evangelium vom Besuch Jesu in der Synagoge von Nazaret wirft einen Blick auf den Juden Jesus. Fast beiläufig lesen wir darüber hinweg, dass Lukas hier berichtet, Jesus sei „wie gewohnt am Sabbat in die Synagoge“ gegangen. Jesus war Jude, er lebte, er dachte und er betete als Jude – bis zum Tod am Kreuz.

Lukas entwirft mit wenigen Zeilen die ganze Programmatik Jesu. In der gottesdienstlichen Versammlung in Nazaret, wo er aufgewachsen war, wird ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht, und er liest daraus das Wort: „Der Geist Gottes hat mich gesandt, um den Armen eine frohe Botschaft zu verkünden, den Gefangenen die Entlassung, den Blinden das Augenlicht … Heute hat sich das Schriftwort erfüllt.“ (Bei Jesaja 61 ff.) Fazit: Die Sache Jesu ist der verletzte Mensch, sein Heilwerden. Seine frohe Botschaft vom Anbruch des Reiches Gottes im Heute, auch in unserer Zeit, richtet auf, befähigt zur Gemeinschaft, in deren Mitte die schwachen und die verachteten Menschen vom Rand der Gesellschaft stehen.

Mit diesem Kern seiner Botschaft steht Jesus ganz in der jüdischen Tradition, das lässt sich an vielen Stellen der hebräischen Schrift festmachen. Auch die erste Lesung des Sonntags aus dem Buch Nehemia gibt Zeugnis davon. Das Hören auf Gottes Wort richtet da die bedrückten und in tiefer Not lebenden Menschen in Juda auf, befähigt sie zum solidarischen Teilen: „Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die nichts haben, denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10)

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Viel zu lange haben Christen in Katechese und Verkündigung diesen Kern seiner Botschaft – die Liebe zu Gott und den Menschen, das solidarische Handeln, die gleiche Würde jedes Menschen – zum Alleinstellungsmerkmal Jesu erklärt. Dabei ist auch schon das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe formuliert in den Schriften des Ersten Bundes (Levitikus 19,18 und Deuteronomium 6,4).

Wer Jesus aus seiner jüdischen Geschichte ausklammert, entstellt nicht nur die Lehren des Judentums sondern läuft Gefahr, antisemitische Klischees zu bedienen. Davor warnten jetzt US-amerikanische Bibelwissenschaftler*innen. Dagegen setzen sie: „Jesus war Jude, und gerade weil er Jude war, sprach er vom Frieden, von Barmherzigkeit, von der Fürsorge für die Armen, von der zentralen Bedeutung der Tora und vom Wert aller Menschen.“*

In der christlichen Verkündigung muss das deutlich werden – bei aller Unterschiedlichkeit in der Bewertung Jesu als dem von Gott gesandten Messias und Erlöser. Das ist heute wichtiger denn je. Denn frech und dreist drängen in unserem Land wieder Rechtsextremisten, Antisemiten, Feinde Israels und der Demokratie auf die Straßen und in die sozialen Medien. Antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien werden verbreitet. Jüdische Einrichtungen müssen polizeilich geschützt werden, die Opfer des Holocaust werden geschmäht; Hass und Hetze, Anschläge und Drohungen vergiften das politische Klima. Rechte Gruppen tarnen sich als Helfer in der Not oder als plakative Mitläufer auf Corona-Demonstrationen.

In einer solchen Zeit müssen Christen sich immer wieder klar werden, wo sie stehen und wo Jesus selbst stand. Und danach handeln!

Diakon Gerrit Schulte

P.S. Am 20. Januar, dem 80. Jahrestag der Wannseekonferenz, verabschiedete die UN Generalversammlung auf Initiative von Deutschland und Israel eine Resolution gegen die Leugnung des Holcaust. Informationen zum Beispiel auf ZEIT ONLINE.

 

*Dr. Marc Zvi Brettler, Professor für Judaic Studies an der Duke University, und Dr. Amy-Jill Levine, Professorin für neues Testament und Jüdische Studien an der Hartford International University für Religion and Peace, USA, auf feinschwarz.net: „Weihnachtlicher Unsinn. Über das missdeutete Judesein Jesu“