Weil da jemand ist

Simone Welters
Simone Welters in ihrem Spezialrollstuhl Bild: Kirchenbote, Röseler

Woher sie die Kraft nimmt, ihr Leben zu meistern. Wie sie es schafft, jeden Tag wieder mit neuer Energie anzugehen. Warum sie nicht verzweifelt – das wurde Simone Welters schon häufiger gefragt. Die 43-Jährige erlitt vor dreieinhalb Jahren in Folge einer Autoimmunerkrankung eine schwere Hirnblutung.

Nach dreiwöchigem Koma wachte sie mit dem sogenannten Locked-in-Syndrom wieder auf: Geistig ist sie voll da, ihr Körper jedoch ist fast komplett gelähmt. „Das Leben hat mich umgehauen“, sagt sie bzw. sagt ihr Sprachcomputer, denn sie selbst kann nicht mehr sprechen. Aber zumindest das Lächeln klappt schon wieder ganz gut – eine der Fähigkeiten, die sie sich durch harte Arbeit an sich selbst zurück erkämpft hat. So wie die Fähigkeit, ihre rechte Hand und damit eine Computer-Maus zu bewegen, um den Sprachcomputer zu steuern.

Im Radio

Simone Welters hat nicht nur einen eigenen Blog, sondern auch Morgenandachten fürs Radio geschrieben. Sie sind inspiriert vom Sänger Adel Tawil und seinem Lied „Ist da jemand“. Simone Welters ist großer Fan des Sängers, der 2016 – genau wie sie – in Lebensgefahr schwebte und mit dem sie sich deshalb besonders verbunden fühlt. Die Morgenandachten wurden von ihrer Schwester Ulrike Fehnker gelesen und können hier nachgelesen werden.

Ihre Kraft schöpft Simone Welters vor allem aus dem Bewusstsein, nicht alleine zu sein: „Ich werde jeden Tag getragen von meinem Mann, unseren Kindern, Familie, Freunden, Gott“, sagt sie. Seit 13 Jahre ist sie verheiratet, kennt ihren Mann schon seit Kindertagen. Sie hat drei Kinder, engagierte Eltern und Geschwister und einen großen Freundeskreis. Und sie hat Gottvertrauen: „Ich musste einmal für eine Stunde in ein MRT. Durch meine Erkrankung hatte mein rechtes Auge keinen Lidschluss. Ich war also gezwungen unentwegt zu gucken. Da habe ich angefangen zu beten. Ich habe mich an den Psalm 139 geklammert: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mich. Ich habe um Kraft gebeten, dass diese Zeit an mir vorüber geht und dass ich das schaffe, und ich habe das gut gemeistert.“ Einige Zeit später, berichtet Welters, habe sie eine Krankensalbung erhalten, die ihr viel bedeutet habe: „Ich betrachte sie als Schutz. Wie eine Hülle. Und da passt dann auch wieder der Psalm: Von allen Seiten umgibst du mich …“ Immer wieder hat sie in den vergangenen Jahren dieses Gefühl gehabt: dass da jemand ist.

Gelebte Nächstenliebe

Zum Beispiel auch, als sie nach über zwei Jahren Krankenhaus, Reha und Pflegeheim endlich wieder nach Hause durfte. Möglich gemacht haben das die vielen Menschen, die sie hier unterstützen: professionell mit Pflegedienst, Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie. Vor allem aber ehrenamtlich mit Zeit und Zuwendung: Während ihr Mann arbeitet, kommen jeden Tag für ein paar Stunden Menschen aus der Kirchengemeinde, um Simone Welters im Alltag zu begleiten. „Alles ältere Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, und somit Zeit für diese Aufgabe haben. Ich erlebe sie sehr motiviert und ihr Engagement reicht weit über das Begleiten der täglichen Therapie hinaus. Ich profitiere von ihrem Erfahrungsschatz und ihrem Weltwissen, das ist großartig! Andersherum kann ich mir vorstellen, dass es für sie sehr schön ist, eine Aufgabe zu haben, gebraucht zu werden. Das nenne ich mal ein gelungenes Beispiel für gelebte Nächstenliebe“, sagt sie.

Ausschnitt Buch Simone Welters
Simone Welters schreibt Gedichte. Einige davon wurden in einem kleinen Gedichtband veröffentlicht. Bild: privat

Ihr Mann Jörg ergänzt: „Das ist der Unterschied von Kirchengemeinde zu anderen Gemeinschaften oder Vereinen: Hier fühlt man eine Wärme, es geht nicht um Leistung, man muss nichts können, einfach nur da sein und freundlich sein.“

Auch deswegen sei der Glaube für sie nicht nur Halt in schlechten Zeiten, sondern lasse sie in guten Zeiten immer wieder demütig und dankbar werden, berichtet Simone Welters. Manchmal scheint es ihr, als stecke hinter ihrer Geschichte ein göttlicher Plan – weil immer wieder Dinge passieren, die so eigentlich kein Zufall sein können: Zum Beispiel dass sie schon vor Jahren beim Hausbau das Erdgeschoss barrierefrei und mit einem eigenen Bad ausgestattet haben, so dass bei ihrer Rückkehr nach Hause nichts extra umgebaut werden musste. Oder dass immer so viele wohlmeinende Menschen um sie herum sind und dass sie durch ihre Krankheit neue tolle Menschen kennen gelernt hat. Dass ihr Mann ITler ist, sich super mit Computern auskennt und ihr deswegen schon viel hilfreiche Technik einrichten konnte – einen Knopf am Rollstuhl, mit dem sie die Tür öffnen kann zum Beispiel und alle möglichen Funktionen für ihren Sprachcomputer.

Das Tor nach draußen

Weitere Infos

„Der Sprachcomputer ist mir sehr wichtig und nicht mehr wegzudenken aus meinem Leben. Über ihn läuft alles. Er ist das Tor nach draußen“, sagt sie. Sie kann darüber Filme gucken und Musik hören und was das Wichtigste ist: kommunizieren. Im Alltag mit ihren Kindern, über Messenger mit Familie und Freunden und übers Internet auch mit der Welt außerhalb ihres Heims. Denn Simone Welters lässt andere an ihrem Leben teilhaben. Sie hat einen eigenen Blog, auf dem sie Gedichte und Statusberichte veröffentlicht. Über 1.300 Einträge sind es inzwischen – sie beschreiben ihren Genesungsprozess in kleinen Schritten, berichten auch von Rückschlägen, Frustration und Mutlosigkeit. Vor allem aber erzählt Simone Welters hier ihre Geschichte voller Energie und Optimismus, mit Dankbarkeit und Lebensfreude. „Ein Gedicht, das für mich sehr bedeutend ist, ist das Gedicht ‚Aufstehen'“, sagt sie. Es ist das Gedicht, das mit den Worten „Das Leben hat mich umgehauen“ beginnt und so weitergeht:

 

Das Leben
hat mich
umgehauen,
ich bin
hingefallen,
ganz tief,
bin gestrauchelt,
aber
ich werde wieder
aufstehen,
hängen lassen
gilt nicht,
mit Hoffnung
und Zuversicht
in die
Zukunft,
das Leben
lohnt sich.
Und so
gebe ich
jeden Tag alles
weil ich weiß,
dass da jemand ist.