Wie ein offenes und ehrliches Gespräch

Zwei Menschen in der Dämmerung im Gespräch
Bild: unsplash.com, Korney Violin

Das Wort Gottes ist lebendig und voller Kraft. Es ist schärfer als die Klinge eines zweischneidigen Schwertes; es dringt bis in unser innerstes Wesen, trennt dort Menschliches von Göttlichem und trifft uns tief in Mark und Bein. Dieses Wort ist ein unbestechlicher Richter über die Gedanken und geheimsten Wünsche unseres Herzens. Es gibt nichts in der ganzen Schöpfung, was Gott nicht kennt oder was sich vor ihm verbergen könnte; alles liegt nackt und bloß vor seinen Augen. Und jeder – ohne Ausnahme – muss Gott Rechenschaft geben.

Hebräer 4, 12-13, zitiert aus Albert Kammermayer: „Das Neue Testament, Eine Übersetzung, die unsere Sprache spricht“, 2005

 

„Autsch!“ möchte ich fast rufen bei dieser Lesung aus dem Hebräerbrief. Das Wort Gottes – so wie es hier beschrieben wird – klingt in meinen Ohren bedrohlich. Gottes Wort soll mir doch guttun, mich unterstützen, mir Kraft geben, mich aufrichten, wenn ich niedergedrückt bin. Aber was ich hier lese klingt nicht nach Zuwendung, Trost und spiritueller Wellness. Gottes Wort – schärfer als ein Schwert, dringt in Mark und Bein, richtet über meine geheimsten Gedanken und Wünsche und entblößt mich.

Nein, das will ich nicht, dagegen wehre ich mich.

Aber so steht es da – in der Bibel. Und ich kann und will es nicht einfach ignorieren oder ausblenden.

Während ich darüber nachdenke, wandelt sich mein anfänglicher Widerstand und ich erinnere mich an Worte von Menschen, über die ich zunächst gar nicht froh war, die mir aber zur wichtigen Wegweisung geworden sind. Zum Beispiel die beste Freundin, die mich in einem Gespräch unter vier Augen auf meine Charakterschwäche aufmerksam macht. Das ist unangenehm und tut weh, denn ihre Aussage legt eine Wahrheit über mich frei. Aber das muss nicht das Ende der Freundschaft sein. Im Gegenteil – ein solches Gespräch macht auch deutlich: die Freundin nimmt mich ernst, sie traut mir Veränderung zu, sie will eine ehrliche Freundschaft, in der auch die Schattenseiten ans Licht kommen dürfen. Und: sie legt eine Schwäche frei, aber sie entblößt mich nicht.

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So ähnlich verstehe ich Gottes Beziehung zu uns Menschen. Gott ist für mich nicht der „liebe Gott“, wohl aber der liebende Gott. Sein Wort ist nicht harmlos, denn Gott nimmt uns ernst, fordert Rechenschaft über unser Verhalten seiner Schöpfung gegenüber – Menschen, Tieren, der gesamtem Um- und Mitwelt. Und darum ist sein Wort mal freundlich, unterstützend, ermutigend und zugewandt – aber eben auch kritisch und herausfordernd, wenn es die Situation erfordert. Gott hält keinen Smalltalk mit uns, sondern will ein offenes und ehrliches Gespräch, und dazu gehört auch, dass man hin und wieder Klartext redet.

Lucia Zimmer, Pastoralreferentin