„Wo Gott im Spiel ist, geht es um Vielfalt“
Der Sonntag nach Pfingsten steht traditionell im Zeichen der Dreifaltigkeit. Gott ist Vater, Sohn und Heiliger Geist. Ein durchaus verwirrendes Konzept: Wie kann das sein, ein Gott in drei Personen? Und wie vielfältig ist der christliche Gott? Antworten darauf gibt es im Interview mit Bruder Thomas Abrell, der als Referent im Haus Ohrbeck unter anderem Kurse für Persönlichkeitsentwicklung anbietet.
Bruder Thomas, wenn Sie jemandem die Dreifaltigkeit näher bringen müssten, was sagen Sie?
Die Idee der Dreifaltigkeit ist der Versuch etwas zu verdeutlichen, was wir nicht verstehen können – weil wir Gott nicht verstehen können. Dreifaltigkeit zeigt, dass Gott nicht nur für sich ist, sondern Beziehung lebt. Mein Bild von der Dreifaltigkeit ist ein großer Kreis, in dem drei kleine Kreise sind – einer heißt Vater, einer heißt Sohn, einer heißt Heiliger Geist. Diese Kreise sind absolut durchlässig und stehen untereinander in Kontakt. Und auch der äußere Kreis ist durchlässig und steht mit allen drumherum in Kontakt. Und um diese Beziehungsvielfalt deutlich zu machen, reden wir vom Begriff der Dreifaltigkeit.
Aber macht die Dreifaltigkeit den Zugang zu Gott und die Vorstellung von Gott nicht auch komplizierter?
Sie macht sie in dem Sinn komplizierter, dass ich nicht so ein einfaches, plastisches Gottesbild haben kann, sondern dass ich Gott denke als jemanden, der sehr vielfältig ist und damit in keinen Rahmen passt. Das ist natürlich für uns Menschen immer schwierig, wenn etwas nicht in die Bilder passt, die wir haben. Aber auf der anderen Seite ist es auch hilfreich zu merken, dass Gott eben nicht nur auf eine Art und Weise agiert, sondern auf ganz unterschiedliche Weise mit uns Menschen in Beziehung ist.
Hilft Ihnen das Bild der Dreifaltigkeit für ihr eigenes Gottesbild und ihren eigenen Glauben?
Es hilft mir, weil ich mit diesem Gottesbild den Begriff der Liebe verbinde – gerade im Johannesbrief ist Liebe ja ganz wichtig, bei Paulus übrigens auch. Erst dieses Beziehungsgeschehen, was ich mit der Dreifaltigkeit verbinde, macht die Liebe deutlich und hilft mir selbst ganz stark in meinem Glauben. Das Angenommensein von Gott, das in der Liebe Gottes sein, auch durch die Liebe Gottes berührt sein und diese weiterzugeben, das ist für mich etwas ganz, ganz Wichtiges.
Die Dreifaltigkeit drückt Vielfalt aus. Ist das ein Ansporn und Anspruch an uns Menschen, statt Einfalt Vielfalt zu sehen und zu leben?
Das ist wirklich eine große Herausforderung. Für mich verbindet sich mit dieser Idee, dass Menschen vielfältig sein dürfen, dass Kirche Vielfalt zulassen muss. Allein zu denken, dass katholische Kirche nicht in jedem Land gleich ist, sondern jedes Land seine eigene Ausprägung von Kirche hat, das hängt alles mit dem Bild der Dreifaltigkeit zusammen. Es drückt eben aus: Überall wo Gott mit im Spiel ist, geht es um Vielfalt, Vielschichtigkeit.
Zur Person
Bruder Thomas Abrell stammt aus dem Allgäu. Seit 2006 ist er als Referent im Bildungshaus Ohrbeck tätig, davor war er unter anderem Ausbildungsleiter bei den Bayrischen Franziskanern, seinem Orden. Bruder Thomas studierte Theologie in München und Florenz und bildete sich unter anderem in Spiritualität und geistlicher Begleitung am Institut für Spiritualität der PTH Münster fort. Er ist Leiter des Arbeitskreises „kreuz und queer“ im Bistum Osnabrück.
Vielfältigkeit drückt sich auch in der Vielfalt von Religionen, Kulturen, Menschen, sexuellen Orientierungen aus. Kann das nicht überfordern?
Das ist auf jeden Fall eine Überforderung, weil wir Menschen versucht sind, die Sachen einfach und klar zu haben und jeder Gedanke von Vielfalt dem widerspricht. Es ist egal, ob ich jetzt geistlich unterwegs bin oder in der Gesellschaft: Überall dort, wo verschiedene Menschen mit verschiedenen Kulturen aufeinandertreffen, wird es in der Regel schwierig, weil ich nicht mit klassischen Schubladen oder klassischen Bilderrahmen drangehen kann, sondern ich muss letztlich mit jedem neuen Menschen, mit dem ich zu tun habe, überlegen, wie passt der in mein eigenes Denksystem? Und die Schubladen, die ich habe, passen einfach nicht. Von daher ist es eine große Herausforderung und für viele Menschen sehr, sehr anstrengend. Aber auf der anderen Seite ist es sehr bereichernd, weil es der Buntheit der Menschen entspricht.
Wie kann die Kirche diesem Vorbild Gottes gerecht werden?
In einer Art und Weise hat sie es ja versucht, in dem Denken, was Kirche überhaupt ist: Was das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat, was Papst Franziskus in seinem Schreiben Evangelii Gaudium gesagt hat: Kirche wird nicht am Reißbrett gemacht, sondern entsteht aus der Vielfalt der vielen verschiedenen Ortskirchen weltweit. Und es ist nun mal Realität, dass afrikanische Kirche anders tickt als südamerikanische, als australische oder europäische. Dieser Gedanke, dass Kirche entsteht durch die Vielfalt der Ortskirchen, drückt am besten aus, was Vielfalt in der Kirche bedeutet. Und das muss sich natürlich auch übertragen in die Vielfalt der Meinungen, weil Menschen unterschiedlich sind.
Jetzt gibt es aber nur eine katholische Glaubenslehre. Müsste es dann nicht mehrere Lehren geben, wenn die Ortskirchen so unterschiedlich sind?
Es gibt sicher Inhalte von Lehre, die sind unverrückbar. So ein Grundsatz wie: Gott ist die Liebe. Das steht so im Johannesevangelium, das ist nun mal so. Oder dass Jesus Christus Mensch geworden ist, kann man nicht ändern, sonst habe ich eine andere Religion. Aber wie sich bestimmte Dinge dann konkret ausformulieren ist eben unterschiedlich. Gerade im Bereich der sexuellen Vielfalt ist das wirklich eine Frage. Wir werden hier, zumindest für den Moment, nicht eine Idee, die in Europa gerade in der Gesellschaft angekommen ist, in die ganze Welt übertragen können, weil diese einfach in anderen Regionen abgelehnt wird. Dass es unterschiedliche Haltungen in den Teilkirchen geben kann, gehört zur Vielfalt von Kirche dazu. Kirche ist sehr unterschiedlich – das hat auch Auswirkungen auf die Fragen von Moral.
Vielfalt heißt auch Auseinandersetzung. Ist die katholische Kirche, die vielfältiger wird, für mehr Streit und Auseinandersetzung gerüstet?
Da bin ich mir nicht sicher, ob sie dafür gerüstet ist. Wo ich mir sicher bin ist, dass sie da nicht drumherum kommt. Das Schreiben (zum Segen für gleichgeschlechtliche Beziehungen, die Red.), das aus Rom kam, ist ja ein gutes Beispiel dafür, das eine bestimmte Art eines Dialoges – wenn man von einem Dialog reden kann – hier in Deutschland nicht mehr funktioniert. Und dass es da auch Reaktionen gibt, die bisher für Kirche neu waren. Die Kirche kommt nicht mehr darum herum, in echte Dialoge zu gehen, auch mit der Gewissheit, dass es dann unterschiedliche Antworten und Ideen zu bestimmten Fragen geben wird, weil diese immer aus dem jeweiligen kulturellen Kontext gegeben werden. Vieles, was bisher aus Rom kam, lief nach dem Motto: Rom weiß, wie es geht. Aber das würde nur funktionieren, wenn alle Menschen gleich wären. Aber das sind wir nun einmal nicht.