Zwischen Gut und Böse
Da formte Gott, der Herr, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. Dann pflanzte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Erdboden allerlei Bäume wachsen, begehrenswert anzusehen und köstlich zu essen, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und begehrenswert war, um klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.
Genesis 2, 7-9; 3,1-7
Die Schöpfungsgeschichten der Bibel bringen Bilder in uns zum Klingen, die tief in unserer Seele verankert sind. Auch dann, wenn wir „religiös unmusikalisch“ (Max Weber) sind. Die großartige Symphonie der Schöpfung beginnt im ersten Buch der Bibel mit dem Bild des Gartens. Und schon klingt aus frühesten Zeiten in uns ein Urbild an, das sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat: ein umzäunter, geschützter Lebensraum, Sicherheit und Frieden, Nahrung und Wohnen. Der zunächst real und räumlich gedachte Garten wird so zum Symbol, zum Bild für das Aufgenommensein und Leben unter Gottes Fürsorge und Schutz.
Der Religionspädagoge Hubertus Halbfas schildert, wie sich in vielen alten Sprachen die reale und zugleich symbolische Bedeutung des Gartens ausdrückt. Im Altiranischen und Hebräischen bedeutet danach Garten gleichermaßen eine Umfriedung, einen Hof, eine Siedlung. Was etwas akademisch klingen mag, ist bis heute zumeist unbewusster Bestandteil auch unseres Sprachgebrauchs: Das althochdeutsche gart für Garten findet sich immer noch in Städtenamen wie Stuttgart und der geschützte Raum mütterlicher Sorge erscheint in Namen wie Irmgard und Hildegard. Spannend wird es, da sich in den ältesten Sprachstufen sprachliche Ableitungen von Garten, Umfriedung und Kreis zeigen. Orte, Siedlungen und heilige Stätten wurden gegründet, indem man zunächst eine Mitte bestimmte. Von dieser Mittelachse aus wurde dann mit einer Schnur ein kreisrunder Grundriss gezogen.
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So kannten es auch die Hörer der biblischen Geschichten. Über diese „Mitte“ des Garten Eden lesen wir heute zumeist achtlos hinweg. Das Paradies hat eine Mitte. Sie wird gleich zweimal in dem kurzen Text hervorgehoben: In der Mitte des Garten wächst der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. An diesen Baum in der Mitte darf man nicht rühren, von seinen Früchten nicht essen. Die Mitte wird zum Ort, an dem sich Himmel und Erde, Leben und Tod, Diesseits und Jenseits verbinden. Ein unverfügbarer Ort, der jedem Zugriff entzogen ist.
Wie aktuell diese uralten Erzählungen sind, hat erst in dieser Woche wieder das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Sterbehilfe gezeigt. Da ist nicht nur von der ärztlichen Hilfe für Patienten in den seltenen Fällen verzweifelter und auswegloser Lage die Rede. Die Richter sprechen vielmehr von der generellen Freiheit, sich das Leben zu nehmen, vom Recht, in jeder Phase menschlicher Existenz selbstbestimmt zu sterben und dafür Hilfe einzufordern.
Der Schöpfungsbericht der Bibel stellt dagegen einen Ort, der sich dem eigenmächtigen Zugriff des Menschen entzieht. „Es ist eine sensible Mitte“, folgert Hubertus Halbfas aus der Genesis Erzählung, „die keinen gegenständlichen Ort hat, die aber in allen zwischenmenschlichen Beziehungen vorkommt“. Wenn das Verhältnis der Menschen untereinander intakt bleiben solle, müsse eine „Dimension des Unverfügbaren gewahrt bleiben“.
Gerrit Schulte, Diakon