Allein und doch nicht einsam
Einsamkeit ist für alle viele eine Horrorvorstellung – Isolationshaft sogar eine Bestrafungsart. Einsamkeit ist ein empfundener Mangel an Kontakt, ein Defizit: Man vermisst den oder die anderen schmerzlich. Einsamkeit ist ein großes Thema, besonders an Weihnachten, besonders aufgrund der Corona-Pandemie.
Allein sein und doch nicht einsam sein, das ist möglich, glaube ich. Auch an so emotional aufgeladenen Tagen wie Weihnachten. Eher hinderlich sind wohl die vielen Fantasien, Vorstellungen und auch Erinnerungen, die man so an dieses Fest hat, besonders auch aus Kindheitstagen … Aber man könnte versuchen, sich dem Alleinsein mal unvoreingenommen zu nähern und einfach zu probieren: Wie fühlt sich das jetzt wirklich an, jetzt gerade in diesem Augenblick?
Zur Autorin
Dieser Text wurde verfasst von Sr. Michaela, die sich mit dem Alleinsein an Weihnachten auskennt. Sie lebt seit rund 12 Jahren auf der Insel Juist, wo es zu dieser Jahreszeit meist sehr ruhig zugeht. Einfach nur Meer, Strand und Himmel – ein wunderbarer Ort, um zu sich selbst zu kommen und zu den großen Fragen des Lebens. Sie begleitet dort viele Menschen in Exerzitien und stillen Auszeiten oder einfach so im Gemeindeleben als Seelsorgerin für Insulaner und Touristen.
Denn eigentlich ist jeder Augenblick konkurrenzlos. Es gibt ihn nie mehr wieder! Also geht es darum, diesen Augenblick nicht vorüber gehen zu lassen, ohne ihn wirklich erlebt zu haben – halt jetzt mal ganz allein. Es könnte einfach zur Regeneration dienen, zur inneren Klärung. Oder dazu führen, dass sich etwas in Ruhe ordnen kann – ohne, dass ich mich gleich erklären oder das ganz und gar durchschauen muss. Kann sein: Das ist nicht nur gemütlich und bequem, eher vielleicht mit Knirschen und ein bisschen Zittern und Zagen. Aber das Alleinsein kann einfach auch Zeit zum sich Entwickeln und Entfalten bedeuten. Es sind manchmal eben die feinen, leisen, zurückgezogenen Momente, die Licht in die Finsternis bringen.
Dazu muss man das „gute“ Alleinsein beherrschen – oder eben auch erlernen. Dann könnte es so kommen, dass die Kunst sich selbst auszuhalten zur inneren Freiheit führt. Das hat der Jesuitenpater Alfred Delp SJ so gut ausgedrückt in seiner Meditation zum Advent:
„Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst“ schreibt er darin. Und weiter: „Gerade in der Herbheit des Aufwachens, in der Hilflosigkeit des Zusichselbstkommens, in der Erbärmlichkeit des Grenzerlebnisses, erreichen den Menschen die goldenen Fäden, die in diesen Zeiten zwischen Himmel und Erde gehen und der Welt eine Ahnung von der Fülle geben, zu der sie gerufen und fähig ist.“
Weitere Infos
- Bei Einsamkeit rund um die Uhr erreichbar: die Telefonseelsorge.
- Wie Stille auch ein Kraftort sein kann, lesen Sie hier.
- Wie Stille und Musik zusammenspielen, erläutert Diözesan-Eremitin Maria Anna Leenen.
- Hier geht’s zur Online-Seelsorge des Bistums Osnabrück.
Ich finde dieses Bild der goldenen Fäden wunderschön hineingesagt in Dunkelheit, Bedrückung und Einsamkeit. Goldene Fäden, die immer mal wieder aufscheinen im Licht, die Verbindung, Begegnung herstellen zu einem viel größeren grenzenlosen Zusammenhang. Goldene Fäden, die eben auch vom Himmel zur Krippe führen. Es ist eher etwas stilles, leises, feines – unscheinbar und golden zugleich: das Kind in der Krippe, das durch den gleichen goldenen Faden mit Gott verbunden ist, wie jede und jeder von uns. Und das nicht nur zu Weihnachten, sondern jederzeit – auch wenn wir uns manchmal noch so einsam fühlen.