Anstiftung zum Handeln und Glauben

Börsenkurs
Bild: unsplash.com, Kanchanara

Da trat Petrus zu ihm und fragte: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt. Bis zu siebenmal? Jesus sagte zu ihm: Ich sage dir nicht bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal. Mit dem Himmelreich ist es deshalb wie mit einem König, der beschloss, von seinen Knechten Rechenschaft zu verlangen. Als er nun mit der Abrechnung begann, brachte man einen zu ihm, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber das Geld nicht zurückzahlen konnte, befahl der Herr, ihn mit Frau und Kindern und allem, was er besaß, zu verkaufen und so die Schuld zu begleichen. Da fiel der Knecht vor ihm auf die Knie und bat: Hab Geduld mit mir! Ich werde dir alles zurückzahlen. Der Herr des Knechtes hatte Mitleid, ließ ihn gehen und schenkte ihm die Schuld. Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist! Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe. Als die Mitknechte das sahen, waren sie sehr betrübt; sie gingen zu ihrem Herrn und berichteten ihm alles, was geschehen war. Da ließ ihn sein Herr rufen und sagte zu ihm: Du elender Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?

Matthäus 18,21-33

„Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.“ Immer wieder erinnere ich mich an diesen berühmten Satz der Würzburger Synode von 1975. Nie war er wertvoller als heute: In dieser Welt der Finanzspekulationen auf Hunger und Nahrungskrisen, in der Getreidelieferungen zu den Hungernden durch Kriegsherren blockiert werden, in der Verteilungskämpfe um Wasser, Böden und Saatgut zwischen Reichen und Armen toben, in der die Spirale des Wettrüstens erneut die Haushalte der Staaten beherrscht und Ressourcen für Bildung, Entwicklung und medizinische Versorgung vernichtet.

„Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.“ Das Wort macht sichtbar: Für unser Leben und Handeln als Christen ist es nicht egal, woran wir glauben. Die zentrale Botschaft Jesu vom anbrechenden Reich Gottes ist nicht einfach eine fromme Vertröstung auf ein idealisiertes Jenseits, sondern Anstiftung zum Handeln und Glauben an eine bessere und gerechtere Welt im Hier und Jetzt. Kaum ein Gleichnis wie das vom unbarmherzigen Sklaven spricht so eindeutig davon, dass Gottes Güte diese Welt und die Menschen verändern will.

Vom Sklaven? Ja, genau. Die „Knechte“, von denen in unserer harmlosen Übersetzung die Rede ist, werden im Originaltext als „Sklaven“ bezeichnet. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zeit Jesu waren von vielfach differenzierten Formen einer Sklavenhaltergesellschaft gekennzeichnet. So erklärt sich auch die Brutalität, von der im Text die Rede ist: von Schuldhaft, Verkauf von Frau und Kindern, Folter und anderen Formen der Gewalt. Für die Zuhörerschaft Jesu waren das leidvolle Erfahrungen. Sein Publikum setzte sich vornehmlich aus armen Leuten zusammen, ihrem Milieu entsprachen die Schilderungen Jesu.

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Wie das Gleichnis auf sie gewirkt haben muss, wird an den Dimensionen des Erzählten deutlich. Der erste Sklave, der vor seinem König da auf die Knie fällt, schuldet diesem die unvorstellbare Summe von 10.000 Talenten. Ein riesiger Schuldenberg, den Jesus da erzählerisch auftürmt. Das Talent war die höchste damalige Währungseinheit. 1 Talent entsprach 6000 Denaren. Ein Denar war der übliche Tageslohn. Eine Schuld also, die in einem einzigen Leben gar nicht zu begleichen war. Doch damit nicht genug. Die Dramaturgie steigert sich nochmals: Jesus berichtet dem gespannten Zuhörerkreis, womit keiner rechnen konnte: Der Sklave erhält den völligen Nachlass der unbezahlbaren Forderung. Allein durch die Güte seines Herrn wird der Sklave beschenkt.

Und was macht der so Beschenkte, als ihm einer seiner Schuldner begegnet; der Mitsklave schuldet ihm die vergleichsweise lächerliche Summe von 100 Denaren. Statt der Weitergabe der selbst erfahrenen Güte folgen Schläge und Kerker. Der gerade erst barmherzig Beschenkte zeigt sich auf brutalste Weise unbarmherzig gegenüber dem eigenen Schuldner. In der Folge trifft ihn der ganze Zorn des gütigen Herrn: „Hättest nicht auch du mit deinem Mitsklaven Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“

Genau da liegt der Kern des Erzählten. Jesus öffnet mit dieser Frage das Thema in den Kreis seiner Zuhörer hinein – damals wie heute. Jeder ist plötzlich angesprochen und sieht sich vor die Frage gestellt, wo er oder sie unbarmherzig ist. Der Sinn des Erzählten ist eine veränderte ethische Grundhaltung im Wissen um die vorausgehende und übergroße Güte Gottes. Es ist für unser Handeln in dieser Welt eben nicht egal, woran wir glauben. Oder noch schöner gesagt, mit den Worten der Würzburger Synode: „Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen.“

Diakon Gerrit Schulte