Anders Kirche sein
Im Oktober 2018 hat sich eine große Pilgergruppe aus dem Bistum Osnabrück auf den Weg nach Assisi gemacht: glaubende, zweifelnde, suchende, fragende Menschen mit und ohne Handicap, Paare, Singles, Familien, Ordensleute, Kinder und Jugendliche haben sich für sechs Tage in die Stadt begeben, in der die Heiligen Franziskus und Klara gelebt haben. Das Motto der Abenteuer-Pilgerreise: „Wenn es dir gut tut, dann komm!“ Wie gut die Reise den Teilnehmerinnen und Teilnehmern getan hat und warum so eine Reise eine ganz andere, spannende Form von Kirche ist, davon berichtet auf dieser Seite Martina Kreidler-Kos, eine der Initiatorinnen der Reise, in verschiedenen kleinen Geschichten:
1
Es sind kleine Holzperlen, sechs an der Zahl. Schlicht, aber schön zieren sie mein Handgelenk – in sechs verschiedenen Farben: Gelb, Grün, Blau, ein sanftes Rosa, ein zartes Türkis und ein klares Weiß. Diese weiße Perle mag ich besonders. Weil ich sie von einem besonderen Mädchen bekommen habe, mitsamt einer kleinen Lektion. Wir beide waren mit 180 anderen Menschen unterwegs auf einer abenteuerlichen Pilgerreise: Ob mit oder ohne Rollstuhl, mit großem oder kleinem Geldbeutel, mit wenigen oder tausend Glaubenszweifeln, sind wir alle gemeinsam nach Assisi in Italien gefahren.
Dort gab’s zum Kennenlernen diese Perlenbändchen. Aber die Farben waren noch nicht sortiert. Ich hatte am Anfang drei gelbe, zwei grüne und eine rosafarbene Perle. Wir sollten einander ansprechen: „Hey, magst du mit mir eine Perle tauschen?“ Als ich es noch ganz vorsichtig bei einer Frau versuche, die ich immerhin ein bisschen kenne, zupft mich ein Mädchen schon am Ärmel: „Du hast keine Weiße!“, sagt sie. „Stimmt“, sage ich und schaue auf ihren Arm: „Du hast zwei. Aber schade, die Farben, die ich habe, brauchst du alle nicht. „Macht nichts“, sagt sie, 2du kriegst trotzdem meine weiße. Ich glaube, ich bin besser im Tauschen als du!“ Recht hat sie. Von ihr habe ich gleich zu Beginn dieser Reise wahre Großzügigkeit gelernt: „Teilen“ heißt eben nicht „berechnen“, sondern meine Fähigkeiten allen zur Verfügung zu stellen.
2
„Wenn es dir gut tut, dann komm!“ – unter diesem Motto hatten wir glaubende, zweifelnde, suchende Menschen mit und ohne Handicap eingeladen mit uns in die Stadt des heiligen Franziskus zu reisen. Die einzige Bedingung: Abenteuerlust, Hilfsbereitschaft und Neugier mitzubringen. Unsere Hoffnung: Zusammen den Glauben unter die Füße oder den Rollstuhl zu nehmen. Und das hat geklappt! Zusammen – das war Zauberwort dieser Reise. Gemeinsam schaffen wir fast alles: Die vielen steilen Treppen und Wege, die Müdigkeit, die Zweifel an den eigenen Kräften oder manchmal auch am Sinn des Lebens, sogar einen unerwartet geplatzten Rollireifen oder verlorenes Schuhwerk. Probleme gibt es viele, das ist auf Reisen nicht anders als im richtigen Leben. Aber hier wie dort gibt’s Lösungen, wenn man sich zusammentut.
Franziskus, der sich „Bruder“ aller Menschen nennt, hat oft darüber nachgedacht, wie ein vollkommener Bruder wohl sein müsste, so dass er Gott so richtig gefallen würde. Er findet die Antwort in dem Moment, indem er in die Runde seiner konkreten Brüder schaut. Auf einmal weiß er: Der vollkommene Bruder hat den Glauben von Bruder Bernhard. Die Einfachheit von Bruder Leo. Die Klugheit von Bruder Ägidio, die Schönheit von Bruder Masseo, die Kraft von Bruder Giovanni, die Liebe von Bruder Rogerio und den unruhigen Geist von Bruder Lucido. Es fällt Franz – und uns im Übrigen auch – wie Schuppen von den Augen: Der Mensch, der Gott so richtig gut gefällt, das sind wir alle nur gemeinsam.
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Es war eine wirklich abenteuerliche Pilgerreise: Alle waren dabei, die dabei sein wollten: Große, Kleine, Dicke, Dünne, Kranke, Gesunde, Zuversichtliche und Zynische, Plaudertaschen und Wortkarge. Jeden Morgen treffen sich die, die schon wach waren und wollten, zum Morgengebet. Ausgeschlafen oder noch ziemlich müde lernten wir von zwei jungen Ordensfrauen, was „Ein-Wort-Fürbitten“ sind: In nur einem Wort soll jeder und jede das eigene Anliegen auf den Punkt bringen. Da kamen viele Bitten: um „Frieden“, „Gemeinschaft“, um „Gesundheit“, um „eine Problemlösung“. Und natürlich auch viele Namen: „Für meine Mutter“, „meinen Freund“, „für unseren kranken Bischof“. Einmal mussten wir alle ganz genau hinhören: Scheu kam es aus einer Ecke von einem großen, kleinen Fan – wie man unschwer an ihrem T-Shirt erkennen konnte: „Für Helene Fischer!“
Weitere Infos
Auch im Bistumsblog hat Martina Kreidler-Kos über die Assisi-Pilgerreise berichtet. Weitere Texte von ihr finden Sie hier.
Beten verändert nicht die Welt, aber den, der betet. Und manchmal sogar die, die beim Beten zuhören dürfen. Ich habe jedenfalls wieder neu verstanden: Beten heißt, das laut oder leise zu sagen, wofür ich brenne. Kein endloses Palaver, keine abgedroschenen Phrasen. Gott interessiert, was mir wirklich am Herzen liegt. Und wenn es Helene Fischer ist.
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„Wenn es dir gut tut, dann komm!“ Das ist kein Werbe-Wohlfühlslogan unserer Tage, sondern – man höre und staune – ein Zitat des heiligen Franziskus. Es steht in einem Brief an einen seiner liebsten Gefährten. Leo heißt er. Diesen kleinen Brief, immerhin aus dem 13. Jahrhundert, kann man heute noch bestaunen im Dom der italienischen Stadt Spoleto. Er ist kaum größer als ein Kassenbon und sieht ziemlich mitgenommen aus. Immerhin hat Leo ihn bis zu seinem Tod immer in seiner Kutte getragen.
Dieser Brief ist ein Versöhnungsangebot. Wahrscheinlich haben die beiden zuvor gestritten, wie der beste Weg, ein guter Christ zu sein, wohl aussieht. Franziskus schreibt: „Auf welche Weise auch immer es dir besser erscheint, Gott, dem Herrn, zu gefallen, so tu es. Und wenn es dir gut tut, zu mir zurückzukommen, so komm.“ Der Maßstab ist: „Wie kann ich Gott gefallen““ – Das gefällt mir. Nicht: Welche Regeln muss ich einhalten, welches Gesetzbuch auswendig lernen? Auch nicht: Was denkt der oder die über mich, ob ich wohl richtig glaube? Alles falsche Fährten. Ganz tief in sich hineinhören und ein Leben lang ausprobieren, was Gott an mir wohl gefallen könnte. Und wenn ich an irgendeinem Ort oder bei irgendeiner Tätigkeit oder eben bei irgendeinem Menschen den Eindruck habe, hier geht das besonders gut, dann nichts wie hin: „Wenn es dir gut tut, dann komm!“
5
Als Schmuckstück tragen es viele, mal ist es aus Silber, oft aber aus Olivenholz: ein kleiner, hübsch geschwungener Buchstabe, der an unser T erinnert. „Tau“ heißt dieses alte Segenszeichen und weil der heilige Franziskus es quasi als Unterschrift benutzt hat, erkennt man daran heute noch seine Freundinnen und Freunde. Wer das Zeichen bekommt, darf sich gesegnet wissen – und soll diesen Segen in die ganze Welt tragen.
In einem Kreativ-Workshop während unserer Pilgerreise nach Assisi konnten solche Taus geschnitzt werden. Eine ältere Ordensfrau bringt verschwitzt und glücklich nicht nur eins zustande, sondern sogar drei: „Das erste, etwas windschiefe,“ sagt sie lachend, „ist für mich. Das zweite für die junge Frau, die meinen Rucksack getragen hat. Und das dritte bekommt der, für den ich nachgerückt bin, weil er kurzfristig absagen musste!“ Auch ein kleines Mädchen bittet darum, zwei Taus machen zu dürfen. Die Verantwortlichen sind skeptisch. Ob sie das schafft? „Eines ist für mich und eines für Papas Grab!“ Ok, sie findet schnell Unterstützung und hält am Ende tatsächlich zwei wunderschöne Taus in ihren Händen. Und ein Dritter kann sehr stolz auf sein Werk sein. Er sitzt im Rollstuhl, einer seiner Arme ist lahm. „Aber der andere kann arbeiten!“, meint er und mit vereinten Kräften ist es geschafft. Am letzten Abend werden mitgebrachte Gegenstände gesegnet. In mehr als einer Hand liegt ein Tau. Und alle vertrauen: Überall dort, wo es getragen, verschenkt oder vorsichtig abgelegt wird, da wird es ein Segen sein.
Weitere Eindrücke der Reise gibt es hier in einer Bildergalerie: