Auf dem Weg zu einer sozialen Marktwirtschaft 5.0
Wie sieht eine lebensdienliche Wirtschaft aus? Wie können wir Arbeit 4.0 gestalten? Nach der Mechanisierung Ende des 18. Jahrhunderts, der Elektrifizierung Ende des 19. Jahrhunderts und der umfassenden Automatisierung zu Beginn der 1970er Jahre führen heute Vernetzung und Digitalisierung zu einem starken Wandel in Arbeitswelt und Wirtschaft. Da ist reichlich Flexibilität gefordert. In den USA etwa wechselt ein Arbeitnehmer im Laufe seines Erwerbslebens rund elfmal den Arbeitsplatz.
In Zukunft wird die Wirtschaft von sogenannten „Symbolarbeitern“ geprägt sein. Das sind Personen mit hoher Qualifikation. Sie entwickeln Ideen und machen sie erfolgreich oder lösen Probleme mittels moderner Informationstechnologien. In ihren Reihen finden sich Wissenschaftler, Ingenieure, Softwareexperten, Unternehmensberater und andere Spezialisten. Zu den Verlierern dieser Entwicklung gehören die Routinearbeiter mit niedriger Qualifikation. Sie sind auch besonders von Arbeitslosigkeit bedroht.
Den modernen und flexiblen Menschen und Arbeiter beschreibt der amerikanischer Soziologe Richard Sennett so: Er ist gut ausgebildet und vielseitig einsetzbar, leistungsorientiert und anpassungsfähig, belastbar und mobil. In seiner gesellschaftlichen und kulturellen Bindungslosigkeit ist er der ideal disponible Produktionsfaktor in einer sich schnell wandelnden und sich immer virtueller gebenden Wirtschaft. – Dieser Mensch ist aber gleichzeitig todunglücklich, so Sennett, weil er nirgends wirklich zu Hause ist und sich mit nichts identifizieren kann. „Ich bin, weil ich arbeite“, könnte man das Lebensgefühl dieser Menschen beschreiben.
Kein Zweifel: Arbeit ist ein wesentlicher Faktor des Menschseins. Sie ist mehr als nur Broterwerb. In guter Arbeit drückt sich für Papst Franziskus „die Würde des menschlichen Lebens aus und steigert sie“ (vgl. EG 42).
Gute Arbeit gewährt ein angemessenes Einkommen. Sie fördert Fähigkeiten und respektiert menschliche Begrenzungen. Und sie achtet die Menschenwürde ebenso wie die Umwelt. Arbeit ist vom biblischen Zeugnis her Mitarbeit und Teilhabe an der Schöpfung Gottes (M.D. Chenu OP). Nach der katholischen Soziallehre steht der Mensch als Ebenbild Gottes im Mittelpunkt von Arbeit und Wirtschaft. Er muss sich seine Würde nicht erst verdienen.
Weitere Infos
Dieser Text stammt aus der Predigt zum 1. Mai 2018 in der Propsteikirche St. Johann, Bremen.
In der Gestaltung der Wirtschaft zeigt sich die Freiheit des Menschen. War früher der entscheidende Produktionsfaktor der Boden, später das Kapital (verstanden als Gesamtbestand an Maschinen und Produktionsmitteln), so ist heute der entscheidende Faktor immer mehr der Mensch selbst. Der Mensch mit seiner Bildung und all seinen Fähigkeiten. Auch mit seinen Möglichkeiten, Organisationen und Abläufe in Solidarität zu gestalten und sein Vermögen – also all das, was er vermag, auch durch Geld – gerecht einzusetzen. Gutes Wirtschaften ist angewandte Liebe zur Welt.
Und wie gestalten wir gutes Wirtschaften im digitalen Zeitalter?
Digitalisierung ist nicht einfach nur positiv oder nur negativ. Positive Effekte sind zum Beispiel die leichtere Erreichbarkeit, die Fülle der Informationsangebote und die schnelle Verfügbarkeit von dringend benötigten Daten etwa im Gesundheitswesen. Für sehr viele Menschen bringt die Digitalisierung gute neue Möglichkeiten, zum Beispiel für körperbehinderte Menschen.
Auf der anderen Seite kommt es durch die Digitalisierung zu einer massiven Beschleunigung des Lebens. Und allgegenwärtig sind die Räume für Desinformation und Falschmeldungen, für digitales Mobbing und die Verbreitung von gewaltverherrlichendem, rassistischem und pornografischem Material.
Über den Autor
Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.
Digitale Zeiten brauchen darum Frauen und Männer, die eingeübt sind in die „Unterscheidung der Geister“ von gut und schlecht, von richtig und falsch. So sehr es immer wieder Veränderungen in der Organisation und Gestaltung der Arbeit gegeben hat, so sehr bedarf es auch im Zeitalter von Pflegerobotern, selbstfahrenden Autos und optimierten Genen einer sich weiterentwickelnden Ethik. Da geht es auf neue Weise um die Würde des Menschen, um Teilhabe und Gerechtigkeit, um Arbeit für alle und um Einkommenssicherheit. Da geht es auch darum, wie jeder Einzelne von uns mit seinen neuen Möglichkeiten umgeht. Johanna Haberer – sie ist Professorin für Christliche Publizistik in Erlangen – hat 10 Gebote für die digitale Welt verfasst:
Das erste Gebot:
Du brauchst dich nicht vereinnahmen zu lassen! – Nur Gott hat Anspruch auf dein Leben. Sonst niemand. Auch nicht das scheinbar allwissende Netz.
Das zweite Gebot:
Du sollst keine Unwahrheiten verbreiten!
Das dritte:
Du darfst den netzfreien Tag heiligen! – Eine Atempause ist wichtig, genau wie der Sonntag
Das vierte:
Du musst ein Datentestament machen! – Wer hat Zugriff auf deine Daten, wenn du nicht mehr da bist?
Das fünfte:
Du sollst nicht töten! – Bedenke, auch Worte und Fotos können Menschen zerstören!
Sechstens:
Du brauchst keine schwachen Beziehungen einzugehen! – Das Internet ermögliche Kontakte aller Art. Aber welche Beziehungen bieten Geborgenheit und Nähe?
Siebtens:
Du sollst nicht illegal downloaden! – Das ist Diebstahl am Eigentum anderer.
Achtens:
Du darfst nicht digitalen Rufmord betreiben!
Und die beiden letzten Gebote, die die Lebensverhältnisse der anderen betreffen:
Neunstens:
Du hast Verantwortung für persönliche Daten anderer!
Zehnstens:
Denk immer daran: Du gestaltest die Gesellschaft, wenn du dich im Netz bewegst!
Diese 10 Gebote heben die 10 Gebote der Bibel nicht auf. Im Gegenteil. Sie gehen aus ihnen hervor und werden um so mehr bedeutsam für unser persönliches und gesellschaftliches Leben und Arbeiten. Sie können jedem von uns helfen auf unserem gemeinsamen Weg zu einer humanen, ökologischen und sozialen Marktwirtschaft 5.0