Bewegung in den Alltag bringen

Jogger
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Neues Jahr, neue gute Vorsätze. Ganz oben auf der Liste steht bei den meisten Menschen: Bewegung! Die Psyche profitiert von körperlichen Aktivitäten: Bewegung hilft, Stresshormone abzubauen, und steigert die gute Laune. So wie Sport die Muskeln trainiert, macht er auch die Psyche stärker. Ausreichend Bewegung kann sogar so wirksam sein wie ein Antidepressivum. Wer sich eine Sportart sucht, die ihm gefällt, bleibt länger dran, sagt Dyrken Hoebel, Fachärztin für Neurologie und Psychotherapie in der Magdalenen-Klinik der Niels-Stensen-Kliniken, im Interview.

Sport kann helfen, Stress abzubauen, und ist deshalb auch für die Psyche gut?

Dyrken Hoebel: Ja, unter Stress und Belastung produziert der Körper Stresshormone, zum Beispiel das Cortisol, das zirkuliert im Blut und verursacht höheren Blutdruck und einen höheren Herzschlag, und es hat Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Das Cortisol hält mich im Grunde in Daueralarmbereitschaft. Dem kann ich zum Beispiel mit Yoga oder Meditation begegnen, wenn ich täglich über eine längere Zeit Yoga oder Meditation in den Alltag integriere. Ich kann auch den Weg über mehr Bewegung gehen: Mit Sport sorge ich dafür, dass das Cortisol abgebaut wird.

Wie funktioniert das?

Dyrken Hoebel: Zunächst bewirkt der Sport­reiz, dass noch mehr Cortisol ausgeschüttet wird, aber durch die Entspannung, die nach dem Sport entsteht, wird der Körper angeregt, generell weniger Cortisol auszuschütten, so dass weniger davon im Blut zirkuliert: Ich werde resis­tenter gegen Stress.

Hilft Sport auch gegen Depressionen?

Dyrken Hoebel: Sport kann sehr gut vorbeugend gegen Depressionen und Angsterkrankungen eingesetzt werden und hat einen positiven Effekt, weil er die Widerstandskraft des Menschen stärken kann. Es wurde beobachtet, dass bei Depressionen, Angsterkrankungen und psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie die Symptome durch den Sport vermindert werden. Bei Depressionen kommt es zu Stimmungsveränderungen und Verringerung der Antriebslosigkeit. Durch Sport kommt man wieder in Schwung, die Bewegung steigert das Selbstwertgefühl. Sport stärkt die Selbstwirksamkeitsüberzeugung: Betroffene gewinnen die Erkenntnis und erleben, dass sie selbst etwas verändern können. Man erfährt sich als stärker, lebendiger, hat Erfolgserlebnisse – und wenn es zunächst das Erfolgserlebnis ist, die Hürde zum Sporttreiben überwunden zu haben.

Dyrken Hoebel
Dyrken Hoebel ist Fachärztin für für Neurologie und Psychotherapie in der Magdalenen-Klinik der Niels-Stensen-Kliniken.

Also geht es um den Belohnungseffekt?

Dyrken Hoebel: Aus psychologischer Sicht ist es einfach das gute Gefühl, sich überwunden zu haben. Aus neurobiologischer Sicht liegt die Verbesserung darin, dass wir das Gehirn umgestalten. Durch Sport werden vermehrt Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, die dazu führen, dass neue Gehirnzellen produziert werden, es entstehen neue Verknüpfungen, sogenannte Synapsen und Dendriten (das sind zelluläre Fortsätze von Neuronen), neue Blutgefäße entstehen: Das Gehirn kann an Volumen gewinnen.

Das ist wichtig, da unter anderem bei Depressionen in bestimmten Hirn­arealen eine Volumenminderung beobachtet werden kann. Das wird durch Sport positiv beeinflusst, und auch die Botenstoffe, die umgangssprachlichen „Glückshormone“, werden wieder mehr ausgeschüttet. Das kann in speziellen bildgebenden Verfahren gemessen werden.

Wie oft muss ich dafür Sport treiben?

Dyrken Hoebel: Man hat festgestellt, dass drei- bis viermal 45 Minuten Ausdauersport in der Woche genauso wirksam sein können wie ein Antidepressivum.

Man muss also Zeit dafür einplanen.

Dyrken Hoebel: Ja, und wenn der Gewöhnungseffekt eingesetzt hat, will man es nicht mehr missen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, in der Woche 150 Minuten Ausdauersport zu betreiben, dabei sollte eine Einheit mindestens 30 Minuten dauern. Dabei muss man sich nicht quälen, aber man sollte schon leicht ins Schwitzen kommen und spüren, dass der Puls hochgeht und sich die Atmung vertieft. Wenn man dann auch noch die Muskeln spürt, dann ist es richtig.

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Welche Rolle spielt Bewegung an der frischen Luft?

Dyrken Hoebel: Das ist natürlich am allerbesten, denn draußen sind Sie verbunden mit der Natur, Sie spüren den Wind, den Kältereiz oder die Wärme, der Untergrund ändert sich, im Wald riechen Sie die ätherischen Öle der Bäume. Sie können mit allen Sinnen im Hier und Jetzt sein, das ist die beste Medizin gegen die Grübelspirale.

Treiben Sie selbst auch Sport?

Dyrken Hoebel: Ja. Ich trickse ein bisschen, denn auch mein Weg zur Arbeit ist Sport: Wenn ich die 14 Kilometer mit dem Fahrrad fahre, komme ich mit Hin- und Rückweg auf eine Stunde Radfahren täglich.

Mit dem E-Bike?

Dyrken Hoebel: Ja, aber ich habe ein sehr leichtes Rad und brauche nur die letzten 100 Meter am Berg den Motor dazuzuschalten.

Und außerdem?

Dyrken Hoebel: Ich praktiziere Yoga, etwa eine Stunde täglich, mache Nordic Walking und habe ein Rudergerät. Das macht mir Spaß.

Aber das schafft doch nicht jeder. Wann sollen sich junge Mütter Zeit für Sport nehmen?

Dyrken Hoebel: Als berufstätige Mutter kann man natürlich nur so viel Sport treiben, wie es der Alltag zulässt, das war bei mir auch so, als meine Kinder noch klein waren. Aber Sie können sich auch mit den Kindern zusammen bewegen, mit ihnen auf dem Spielplatz oder im Wald toben und springen, oder wenn sie klein sind, auch mal zügig gehen und den Kinderwagen dabei vor sich herschieben. Später, wenn Sie Ihre Kinder zum Sport bringen und warten müssen, nutzen Sie das, um sich selbst auch zu bewegen. Vielleicht gehen Sie in der Zeit laufen oder machen auch mit den Kindern Wege mit dem Rad.

Und wenn ich Laufen hasse?

Dyrken Hoebel: Suchen Sie sich eine Bewegungsart, die Ihnen gefällt. Der Spaß ist wichtig für die Motivation, damit Sie am Ball bleiben. Es hat keinen Zweck, freudlos auf dem Stepper im Fitnessstudio zu trainieren, wenn Sie lieber mit anderen Sport treiben oder draußen sind. Sie können auch stramm spazieren gehen, verabreden Sie sich dazu mit Freunden in der Natur. Hauptsache, Sie bewegen sich.