Das wichtigste Gebot: Liebe!
In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie bei ihm zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn auf die Probe stellen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten.
Matthäus 22, 34-40
Wie hinterhältig! Die Pharisäer stellen Jesus Fragen, um ihn als Verräter darstellen zu können. Im Matthäusevangelium lesen wir öfter von Auseinandersetzungen wie diesen. „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“
Jesus hätte jetzt die zehn Gebote benennen können (Exodus 20, 2-17), eine Reihe von Geboten und Verboten des Gottes Israels. Aber das macht er nicht. Stattdessen fasst er diese Gebote mit einem Wort zusammen: Liebe! Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe. Diese drei hängen untrennbar zusammen. Es kann keine Gottesliebe geben, die den Nächsten außer Acht lässt. Gleichzeitig ist es wichtig, auch auf sich selbst zu achten – und das hat nichts mit Egoismus zu tun.
Der heilige Bernhard von Clairvaux, ein Mönch und Mystiker des 12. Jahrhunderts, hat mit seinem Bild vom Kanal und der Schale ganz schön beschrieben, warum:
„Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter. Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen und dann ausgießen.“
Vielleicht liegt die Kunst darin, ein gutes Maß der Liebe zu finden: den eigenen Standpunkt innerhalb des Dreiecks von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe immer wieder im Blick zu behalten und, falls nötig, neu zu bedenken. Der heilige Augustinus gibt dazu eine Handlungsanleitung:
„Liebe, und tue, was du willst.“
Katharina Engelen