Der Blick ins Gesicht

Portrait Mann vor einer Wand
Bild: unsplash.com, Ayo Ogunseinde

Immer wieder begegnet mir die Macht der Bürokratie. Regelungen, die am Anfang Menschen stützen und schützen sollten, werden im Laufe der Zeit zu Instrumenten der Verhinderung und Beeinträchtigung. Wer in der Begleitung und Betreuung von Flüchtlingen engagiert ist, kann ein Lied davon singen.

Mittlerweile habe ich den Verdacht, dass die verschiedenen Behörden und die unterschiedlichen Beratungsstellen auch Instrumente sind, um die Antragsteller zu anonymisieren und die persönliche Begegnung, die „Konfrontation“ zu vermeiden. So mancher Mitarbeiter kann sich hinter einer Standardisierung der Abläufe und einer Aufsplitterung in einzelne Gespräche verstecken. Die Hemmschwelle, harte Entscheidungen zu treffen, sinkt. Im Namen der Standardisierung und Objektivierung wird da der Blick ins Gesicht des Anderen eher nebensächlich. Dabei hat das Angesicht des Ratsuchenden, des Flüchtlings, als unersetzbare Informationsquelle über die Leiden und Hoffnungen doch eine besondere Autorität.

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Bürokratisierung hatte schon der vor 100 Jahren geborene und im Februar 1945 von den Nazis hingerichtete Jesuit Alfred Delp.
Die Verbürgerlichung und Bürokratisierung führt zu einem Menschentyp, „vor dem selbst der Geist Gottes, man möchte sagen, ratlos steht und keinen Eingang findet, weil alles mit bürgerlichen Sicherheiten und Versicherungen verstellt ist.“
Das Antlitz eines Menschen ist für Christen auch das Antlitz Christi. Als Christen sollten wir nicht nur in die Papiere schauen, wir sind aufgefordert, das Angesicht Gottes im Nächsten zu sehen. (vgl. Ps 27,8) „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (vgl. Joh 5,14)

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