Der Geist, der in die Weite treibt

Porträt von Bischof Bode
Bild: Bistum Osnabrück

Bischof Franz-Josef Bode hat angesichts der Coronakrise die Menschen zur Solidarität aufgerufen. „Diese Krise, die von einer Akutphase in eine eher chronische Phase übergeht, deren Kollateralschäden an Leib und Seele des Menschen noch gar nicht absehbar sind, diese Krise darf nicht vorübergehen, ohne dass wir nachdenklicher, dass wir bewusster, dass wir solidarischer, dass wir mit weiterem Horizont und mit tieferen Einsichten leben“, sagte Bode in seiner Pfingstpredigt am Sonntag, 31. Mai, in einem öffentlichen Gottesdienst im Osnabrücker Dom. Hier finden Sie die gesamte Predigt:

„Brausen, Sturm, Feuer, direkte Verständigung. – Wie sehr, liebe Schwestern und Brüder, wünschten wir uns an diesem besonderen Pfingsten ohne große Festlichkeit und mit der gestern verschobenen Priesterweihe, wie sehr wünschten wir uns einen solchen Sturm, der das Virus hinwegfegte! Wie sehr wünschten wir uns eine solches Feuer, das alle Hindernisse und Barrieren verbrennte und überwände, und wie sehr eine solche direkte Kommunikation face to face in körperlicher Nähe und Wärme!

Wie sehr wünschten wir uns, dass der ganze Spuk bei uns und weltweit bald vorbei wäre und alles wieder seinen gewohnten Gang gehen könnte.

Vielleicht haben die Jünger damals nach der Katastrophe des Sterbens Christi, in der Ungewissheit seines neuen Lebens und nach seiner Rückkehr aus der irdischen Sichtbarkeit zum Vater sich heimlich ebenso gewünscht, es solle alles so sein wie früher. Hauptsache sie hätten wieder ihr normales Leben und ihren Frieden.

Aber damals wie heute ist eine Rückkehr in ein Weiter-so-wie-Vorher oder ein Zurück-ins-Vorher nicht möglich: bei uns durch die sich nun in eine bedrängende Länge ziehenden Abstands- und Hygieneregeln, an Pfingsten durch die völlig neue und verändernde Kraft eines Geistes, dessen Zeichen Sturm, Feuer und neue Gemeinschaft sind und nicht rückwärtsgewandtes Beharren und die Lauheit und Grauheit einer dahindämmernden Alltäglichkeit und Gewohnheit; und auch nicht die Abgrenzung von Menschen aus persönlichen oder nationalen Egoismen.

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So sehr unser heutiges Pfingsten nicht einfach die Situation der derzeitigen Infektionsgefahr verändert, so sehr aber will es uns zeigen: Es gibt ein danach, aber kein einfaches weiter so, wieder so oder zurück. Dieser Geist will nicht so sehr eine Situation verändern, sondern unsere Herzen, unsere Beziehung zu diesem Geschehen und vor allem unsere Beziehung zu Christus, zu Gott.

Diese Krise, die von einer Akutphase in eine eher chronische Phase übergeht, deren Kollateralschäden an Leib und Seele des Menschen noch gar nicht absehbar sind, diese Krise darf nicht vorübergehen, ohne dass wir nachdenklicher, dass wir bewusster, dass wir solidarischer, dass wir mit weiterem Horizont und mit tieferen Einsichten leben.

Der Pfingstgeist ist der Geist, der in die Weite treibt, der einen Blick für die Weltweite und für das Ganze des Glaubens und des Lebens eröffnet. Er ist der Geist, der uns herausreißt aus dem Kreisen um uns selbst und uns dem Wort Gottes und den Nöten der Menschen öffnet. Er ist der Geist, der unser Herz aus Stein zu einem Herzen aus Fleisch wandelt, so dass wir gerade in und nach dieser Krisenzeit aufmerksamer und wacher werden und bereiter zum Teilen.

Der Pfingstgeist verhindert, dass wir im Glauben, in der Kirche, aber auch in der Gesellschaft und der Welt gerade mit den derzeitigen Erfahrungen einfach in eine alte Normalität zurückfallen. Er will neue Wege gehen, besonders auch in der Kirche:

• Zum Beispiel in der Wertschätzung der persönlichen Frömmigkeit und Spiritualität, die auch dann trägt, wenn äußere Stützen wegfallen.

• Zum Beispiel in der Wertschätzung des Wortes Gottes als Nahrung und eiserne Ration für unser Glaubensleben.

• Oder in der Wertschätzung der sakramentalen Zeichen und Gesten, die uns zur Zeit so erschwert werden.

• Oder in der Wertschätzung all der Dienste an Menschen, die sich in dieser Zeit als so wichtig erwiesen haben.

• Und nicht zuletzt auch in der wirklichen Wahrnehmung der Kreativität, des Freimutes, des neuen Miteinanders, die sich jetzt zeigen.

Paulus macht ja auf die sehr verschiedenen Gaben aufmerksam, die der Geist uns schenkt. Vielleicht haben wir in den vergangenen Wochen so einige neu entdeckt, auch über die sozialen Medien und die digitalen Wege zueinander.

Die gemeinsame Betroffenheit aller – in Welt, Gesellschaft und Kirche – sollte uns nicht wieder auseinanderdriften lassen in dann noch tiefere Gräben und Spaltungen als vorher. Dazu aber braucht es die Kraft dieses Pfingstgeistes, der uns in aller Buntheit und Verschiedenheit zusammenhält in der Kirche, in der Menschheit, in der ganzen Schöpfung.

Der vom Geist Christi beseelte Leib Christi in der Gemeinschaft aller Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesendeten und Geweihten ist der wirksame Antikörper gegen das zersetzende Virus der sozialen Klimavergiftung und aller ungeistigen Kräfte, die sich mit dem Corona-Virus ebenso verbreiten, von neuem Radikalismus über Verschwörungstheorien bis hin zu einem wieder aufstrebenden Antisemitismus.

Und selbst wenn nicht alles so spektakulär und sensationell ist wie am ersten Pfingsttag in Jerusalem: das heutige Evangelium vom Osterabend zeigt uns eine Geistsendung im kleinen Kreis durch die Freude über den lebendigen Jesus, der Frieden zuspricht, uns seinen Lebensatem schenkt und uns zur Vergebung von Schuld und zur Aufrichtung der Menschen sendet.

In dieser kleineren, verborgeneren Form geschieht auch zukünftig Pfingsten – vielleicht sogar einmal mehr als in der großen und öffentlichen. Aber immer hat Geistsendung, in welcher Form auch immer, damit zu tun, nicht einfach wieder zurückzukehren ins Alte, sondern neu zu werden, offener, weiter und vor allen Dingen tiefer – für ein Leben nach vorn und nach oben.

Zu einem Leben, das in der rechten Balance von Altem und Neuem, von Weite und Tiefe, von Reden du Schweigen, von Vielheit und Einheit, von Tradition und Innovation, von Einzelnem und Gemeinschaft, von Personalität und Solidarität seinen Weg durch diese Zeit sucht und findet in der Gewissheit eines Geistes, der uns auf zweifache Weise erfüllt, wie es Andreas Knapp in einem neuen Gedicht beschreibt:

 

doppeltes pfingstwunder

der heilige geist
kam auf sie herab

füllte ihren mund
und sie begannen zu reden

erfüllte ihr herz
und sie begannen zu schweigen

A. Knapp, ganz knapp. Gedichte an der Schwelle zu Gott, Würzburg 2020, S. 101

 

Heiliger Geist, komm und erfülle unseren Mund zum Reden und unser Herz zum Schweigen, damit sich das Antlitz der Erde erneuere – heute und in alle Zukunft. Amen.“