Der Sündenbockmechanismus

Mauer mit Blume
Bild: unsplash.com, Bruno Nascimento

In der Geschichte hat es immer wieder Fälle gegeben, in denen Nachbarn oder Bevölkerungsgruppen abgelehnt oder gar zu Feinden erklärt wurden. Einst waren es die Franzosen, es folgten die Kommunisten, jetzt sind es Muslime oder die Flüchtlinge. Flüchtlinge werden heute in manchen politischen Versammlungen oder Programmen zu „modernen Hexen“ (Stephan Grünewald), die als Blitzableiter für eine diffuse Angst vor Veränderungen herhalten müssen.

In den zurückliegenden Jahren ist dieses Phänomen in der Friedens- und Konfliktforschung als Sündenbockmechanismus beschrieben worden. In seinem Buch „Brauchen wir einen Sündenbock?“ greift der Jesuit Raymund Schwager das Werk von Rene Girard „Die Gewalt und das Sakrale“ auf. In seinen Reflexionen kommt Raymund Schwager zu dem Ergebnis, dass im Gemeinwesen immer wieder Sündenböcke gesucht werden, auf die das Gewalt- und Aggressionspotential geladen wird, so wie schon im Buch Levitikus „der Schafbock alle Sünden in die Einöde tragen sollte“ (vgl. Levitikus 16,22). Dieser Mechanismus des Sündenbocks kann entlastende Wirkung für das Gemeinwesen haben. Für den Schafbock bedeutet die Aussetzung in der Wüste den sicheren Tod.

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

In unserer Zeit wird viel über das Gewaltpotential der Religionen gestritten. Auch in der Bibel begegnen uns immer wieder Kriegsgeschichten. Sie wollen Gewalt aber nicht rechtfertigen, sondern in der Heiligen Schrift wird ein Weg der Gewaltüberwindung und der Deeskalation beschrieben. Höhepunkt ist das Leben Jesu, der selber zum Sündenbock wird, um uns einen Weg aus der Spirale der Gewalt zu zeigen. Er hat uns einen Weg der Erlösung gezeigt. Für unsere Zeit bedeutet dies: Wir brauchen keine neuen Zäune und Mauern. Wir können und wollen in einer Gesellschaft ohne Feindbilder (nach innen und außen) leben. In der Vielfalt der Menschen zeigt sich die Kreativität unseres Schöpfergottes. Machen wir uns dafür stark!

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