Ein mittelalterliches Kinderbuch
Im späten 15. Jahrhundert entstand in Brügge etwas ganz Besonderes: eine der wenigen Handschriften, die eigens für ein Kind gefertigt wurden. Man könnte auch sagen: Die Flämische Bilderchronik Philipps des Schönen ist ein mittelalterliches Kinderbuch!
Philipp, 1478 in Brügge geboren, ist von Geburt an dazu bestimmt, ein mächtiger Mann zu werden. Die Aussichten darauf sind denkbar günstig: Als Sohn Maximilians von Habsburg und Marias von Burgund scheint ihm die Kaiserkrone gewiss, durch seine Hochzeit mit Johanna („der Wahnsinnigen“) wird er als junger Mann König von Kastilien und León und ist damit Urahn des heutigen Königs von Spanien und Namensvetter von Felipe.
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All das ist für den kleinen Philipp aber zunächst weit weg. Einzig das traditionsreiche Herzogtum Burgund ist ihm schon als Kind gewiss. Schon Karl der Kühne, Philipps Großvater, gab den Text für die Chronik in Auftrag. Allerdings – erst die prächtig bunten Bilder dürften den trockenen historischen Fakten die nötige Spannung für einen etwa Siebenjährigen gegeben haben. Wer die Handschrift mitsamt den Miniaturen letztlich anfertigen ließ, ist nicht ganz klar. Vielleicht war es Olivier de la Marche, der Lehrer Philipps, der das Interesse des Jungen für die Geschichte seines Herzogtums wecken wollte und ihn damit auf die eigene Herrscherrolle vorbereitete.
Die Malereien entstanden in der Geburtsstadt Philipps. Brügge war neben Gent eines der Kunstzentren Flanderns, dass vom florierenden Handel profitierte. Adelige und bürgerliche Auftraggeber besaßen die nötigen finanziellen Mittel, um kostbare Handschriften für den privaten Gebrauch in Auftrag zu geben. Die Bilderchronik zeigt die Geschichte Burgunds vor prunkvollen Palästen und Kirchen, es wimmelt vor Darstellern – von König Barbarossa bis zum Höfling sind alle vertreten. Umrahmt werden die Bilder von fantasievollen Bordüren. Philipp dürfte viel Freude an den detailgetreuen Tieren, Pflanzen und Früchten gehabt haben. Wer Kinder in seiner Umgebung hat, der weiß: Auch heute funktionieren Kinderbücher nicht anders und viele Bilder erleichtern den kleinen Erstlesern den Einstieg ins Lernen.
Übrigens: Philipp erhielt seinen Beinamen nicht umsonst. Der Legende nach war der attraktive Herzog ein echter Frauenheld, den Regierungsgeschäfte eher langweilten. Das Königreich seiner Frau Johanna lehnte er allerdings nichts ab, als die Chance sich bot. Die Kaiserkrone seines Vaters konnte er indes nicht mehr tragen: Er starb mit nur 28 Jahren an den Folgen einer Infektion.
Die Bilderchronik Philipps des Schönen ist als Faksimile bis zum 22. September in der Ausstellung „Gebundene Pracht“ im Diözesanmuseum zu sehen und liegt zum Blättern aus!