Ein summender Friedhof
Mehrere Studien bestätigen es: Die Zahl und Vielfalt der Insekten in Deutschland und der ganzen Welt schrumpft dramatisch. Gelingt es nicht, das Sterben zu stoppen, drohen Ökosysteme zusammenzubrechen. „Was können wir als Kirche tun?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich Holger Berentzen, Dekanatsreferent im südlichen Emsland und hatte eine Idee: In fast jedem Ort befinden sich parkähnliche Anlagen in kirchlicher Trägerschaft: Friedhöfe. Warum nicht die insektenfreundlich und ökologisch gestalten?
Wer heutzutage einen Friedhof besucht, sieht zunehmend Gräber, die Insekten ihren Lebensraum entziehen: Gräber, auf denen Kies oder Schotter ausgelegt werden. Die Idee dahinter ist vermutlich, den Pflegeaufwand für die Hinterbliebenen möglichst gering zu halten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Zwischen den Steinen setzen sich Samen ab, treiben aus und Moos überzieht die Kieselsteine.
Ein Vorzeigeprojekt, das inspiriert
Wilde Möhre, Rotklee, Salbei, Schafgarbe, Margerite, Glockenblume oder Johanniskraut – das wären insektenfreundliche und zugleich ökologische Alternativen für eine Grabbepflanzung. Das klingt zunächst etwas befremdlich, aber wie beeindruckend das aussehen kann, können sich Besucher des Neuen Friedhofs in Lingen ansehen. Denn dort ist aus der fixen Idee von Holger Berentzen mittlerweile ein echtes Vorzeigeprojekt gewachsen, von dem sich mittlerweile viele Menschen inspirieren lassen.
Mustergrabstellen zeigen dort, wie sich durch Früh- und Spätblüher die Vielfalt einer ökologischen Flora gestalten lässt. Außerdem sind auf dem Gelände mittlerweile 50 Nistkästen, zwei große Insektenhotels, eine Wildblumenwiese, ein Hochbeet, eine Wildhecke, fünf Fledermaus- und fünf Starenkästen entstanden. Es wurden Infotafeln aufgestellt und Flyer gedruckt, die sowohl als konkrete Anregung und auch als Einkaufshilfe für interessierte Nachahmer dienen. „Wir möchten damit Menschen anregen, auch ihren eigenen Garten ähnlich zu gestalten oder auch Anstoß dazu geben, weitere kirchliche Flächen entsprechend zu gestalten“, erklärt Holger Berentzen.
Kooperationspartner suchen und finden
Da sich innerhalb kurzer Zeit sehr viele Menschen für das Projekt begeistern ließen, war es schon fast ein Selbstläufer und innerhalb weniger Monate umgesetzt. Holger Berentzen nahm zunächst Kontakt zum Naturschutzbund (NABU) EmslandSüd und der Friedhofskommission Lingen/Ems auf, die gleich Feuer und Flamme waren. Und der Funke sprang auch weiter über, bei einem Treffen, zu dem das mittlerweile gewachsene Team im November 2018 Gärtner und Steinmetze der Region einlud.
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Und so wurden nach uns nach immer mehr Verbündete und Sponsoren mit ins Boot geholt. Beispielsweise das Christophorus-Werk: Der Inklusionsbetrieb bietet mit seinen Auszubildenden unter anderem Grabpflege an und baute in einer Holzwerkstatt die Vogelkästen und Nisthilfen. Fachliche Beratung und auch finanzielle Unterstützung erhielt das Projekt auch durch die Naturschutzstiftung des Landkreises Emsland. So stellte der Landkreis das regionale Saatgut zur Verfügung und ließ auch die Infotafeln und die Druckvorlage für die ausgelegten Flyer erstellen.
Ein Gewinn für Gottes Schöpfung
Mittlerweile findet das Projekt Nachahmer von nah und fern. Holger Berentzen: „Mein Tipp für alle, die Ähnliches planen: Suchen Sie sich Kooperationspartner, wie etwa Steinmetze, Gärtner oder Schreiner. Lassen Sie sich fachlich beraten durch NABU, Naturschutzbehörden, der Kommune oder des Landkreises oder auch durch den BUND. Und vergessen Sie nicht, Förderanträge zu stellen, zum Beispiel bei der Bingo-Umweltstiftung.“
Friedhofsbesucher zum Nachdenken anregen, Kiesgräber aus dem Friedhofsbild verschwinden lassen und stattdessen wieder mehr bepflanzte Grabstätten anlegen – das ist nicht nur ein Gewinn für die Friedhofslandschaft, sondern vor allem für die heimische Insekten- und Vogelwelt.