Einen Propheten wie dich
„Einen Propheten werde ich für sie auftreten lassen aus der Mitte ihrer Brüder, so wie dich. Und ich werde ihm meine Worte in den Mund legen, und er soll ihnen alles verkünden, was ich ihm gebieten werde. Wer aber nicht hören wird auf meine Worte, die er in meinem Namen verkünden wird, den werde ich zur Rechenschaft ziehen. Doch der Prophet, der sich anmaßt, in meinem Namen zu verkünden, was zu verkünden ich ihm nicht geboten habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, dieser Prophet soll sterben. Wenn du aber denkst: Woran können wir ein Wort erkennen, das der HERR nicht gesprochen hat? Wenn der Prophet im Namen des HERRN etwas verkündet, und es erfüllt sich nicht und trifft nicht ein – das ist ein Wort, das der HERR nicht gesprochen hat. Der Prophet hat sich angemaßt, es zu verkünden, fürchte dich nicht vor ihm.“
Deuteronomium 18, 15-20, Züricher Bibel
Als ich diesen biblischen Text las, sprach mich dieses Wort „Einen Propheten wie dich“ sehr an. Ich habe es sofort auf mich bezogen – spirituelle Arroganz? Es geht doch eigentlich um etwas anderes: Das Volk Israel kann die Mächtigkeit, mit der Gott durch gewaltige Naturereignisse zu ihm spricht, nicht aushalten – es will eine menschliche Vermittlung. Und Gott findet, dass dies eine gute Idee ist. Er verspricht Moses: Aus der Mitte der Gemeinschaft wird er „einen Propheten wie dich“ befähigen. Also „einen Propheten wie dich“ bei Mose und Co. belassen? Aber das Wort bleibt mit großer Sogkraft an mir hängen: Gibt es einen Grund, es haften zu lassen, statt es als unangemessen zu entfernen?
Ja!
Das Bibelfenster
Hier kommentieren jede Woche Menschen aus dem Bistum Osnabrück eine Bibelstelle aus einer der aktuellen Sonntagslesungen – pointiert, modern und vor allem ganz persönlich.
Haben Sie eine Frage? Eine ganz andere Idee zum Thema? Oder möchten das Bibelfenster als kostenlosen Newsletter abonnieren?
Dann schreiben Sie uns!
An bibelfenster@bistum-os.de
Eine große Gruppe meiner Heimatgemeinde macht sich nun schon zum dritten Mal zu einer Schulung des Bistums auf zum Anliegen: „Kirche der Beteiligung“. Das Stichwort steht für das Bemühen in Zeiten des Gestaltwandels von Kirche, diese von einer alt-neuen Grundidee her aufzubauen: eine Kirchengemeinde ist ein geistliches Gebäude, dass durch die Gaben, Fähigkeiten und Talente errichtet wird, die der Geist Gottes jedem Einzelnen anvertraut hat. Ein wichtiges Anliegen dieser Kirchenvision ist das Wecken dieser Gaben und der gemeinsame Versuch kirchliches Handeln mehr davon prägen zu lassen. Zu den wichtigsten Geistesgaben – „Charismen“ – gehört in der Bibel, im ersten und zweiten Testament, die „Gabe der Prophetie“. Der Apostel Paulus (vgl. 1 Kor 14) beschreibt diese Gabe des prophetischen Redens als eine Fähigkeit, Gottes Wort so auf einen Menschen oder eine Situation zu beziehen, dass es existentiell im Sinne Gottes wirkt – es fördert das geistliche Wachstum (erbaut), es bringt den Lebensweg eines Menschen wieder auf Kurs (ermahnt) und es gibt Kraft und Mut in dürren Zeiten (tröstet).
Diese Gabe kann nun jeden erwischen – aus der Mitte der Brüder (und Schwestern) will er einen „Propheten wie dich“ erwecken, verspricht Gott Moses. Niemand aus der Gemeinde kann also ausschließen, dass diese Begabung in ihm wach wird. Allerdings kann auch niemand sie aus sich selbst entwickeln, z.B. antrainieren. Eine Weiterbildung des Katholischen Bildungswerkes „Prophetisch reden lernen – Grundkur“ können wir leider nicht anbieten …
Als Erkennungsmerkmal für die Authentizität eines Propheten wird in unserem Bibeltext ein sehr schlichtes genannt: Was er sagt, trifft ein. Wenn es geschieht, dass jemand Glaubensworte so zuspricht, dass sie erbauen, mahnen und trösten, dann hat er oder sie diese geistliche Gabe bekommen – gewollt oder nicht.
Wir lernen in der „Kirche der Beteiligung“, darauf zu vertrauen, dass Gottes Geistesgaben weiter unter uns lebendig sind. Wir üben, achtsam füreinander zu sein und sie bei uns zu entdecken. Wir sprechen sie einander zu, wo wir sie wahrnehmen. Es ist damit zu rechnen, dass jemand zu hören bekommt „Einen Propheten wie dich – du hast eine prophetische Gabe“.
Werde ich es sein? Wahrscheinlich nicht! Oder doch? – Könnten Sie sich vorstellen, gemeint zu sein?
Ina Eggemann