Gottes Liebe ist größer

Schmetterling auf einer Pflanze bei Dämmerung
Bild: unsplash.com, Ray Hennessy

Martin Splett ist Klinikseelsorger und Referent für Hospizarbeit und Trauerpastoral im Bistum Osnabrück. Im folgenden Text formuliert er seine Gedanken zum Suizid – aus christlicher Perspektive:

Wo wir einander achten und aufeinander achten, da werden Menschen ermutigt, ihr Leben anzunehmen und in die Hand zu nehmen. Das gilt im Alltag und in Krisensituationen. Somit kann menschliche Zuwendung auch zur Suizidprävention beitragen. Für das Leben zu werben und einzutreten, gehört zum christlichen Selbstverständnis.

Doch weil wir Christ*innen eine größere Hoffnung haben, geben wir auch diejenigen nicht verloren, die ihrem Leben ein Ende setzen.

Tragischerweise hat sich die Kirche selbst über Jahrhunderte nicht an diesen Grundsatz gehalten und viele Menschen nach einem Suizid nicht beerdigt. Im Mittelalter wurde die Selbsttötung zum Selbstmord und galt als Todsünde, die ewige Verdammnis nach sich zog.

Zur Wortwahl

„Selbstmord“ oder „Freitod“ sind weitere Begriffe, um den Themenkomplex Suizid zu beschreiben. Auf dieser Internetseite sind jedoch durchgängig die Wörter Suizid oder Selbsttötung gewählt. Das geschieht bewusst, denn auch Expert*innen und Betroffene vermeiden andere Begriffe.
Der Begriff „Freitod“ vermittelt den Eindruck einer freien Willensentscheidung zum Tod, häufig in Verbindung mit edlen Motiven. Das beschreibt allerdings nicht die Situation von Menschen, deren Entscheidung von Ausweglosigkeit geprägt ist.
Mord ist eine schwere Straftat und bezeichnet das Töten eines anderen aus niederen Beweggründen. Das hat nichts zu tun mit der Situation eines verzweifelten Menschen, der sich das Leben nimmt. Der Begriff „Selbstmord“ schädigt das Gedenken an die Toten. Hinzu kommt: Suizidtrauernde sind nicht Hinterbliebene einer Mörderin oder eines Mörders.

Heute sind kirchliche Bestattungen nach einem Suizid selbstverständlich. Wir können ja nicht von einer freien Tat oder von einer aus niederen Beweggründen ausgehen, wo kranke oder verzweifelte Menschen keinen anderen Ausweg mehr sehen. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, mahnt Jesus (Mt 7,1). Denn wie es wirklich in einem Menschen ausschaut, weiß nur Gott, und „Gottes Liebe ist größer als unser Herz“ (1 Joh 3,20).

Auch die Bibel erwähnt mehrere Suizide, urteilt jedoch nicht darüber (z.B. in 1 Sam 31,4f.). Und sie erzählt von Menschen, die am Ende ihrer Kräfte sind und am Leben verzweifeln: So flieht etwa der Prophet Elija vor Verfolgern in die Wüste und wünscht sich dort den Tod. Erschöpft eingeschlafen, wird er von einem Engel geweckt, entdeckt Wasser und Brot; nach nochmaliger Ruhepause und Stärkung kann er mit neuem Mut weitergehen, weiterleben (vgl. 1 Kön 19). Auch in unseren Wüstenzeiten kann uns so ein Engel in Gestalt von Freundinnen und Freundenen oder Fremden begegnen, können wir zu Engeln für andere werden …

Tatsächlich ist für Christen nicht das Leben das höchste Gut, sondern die Liebe; ihre Größe kann sich sogar darin zeigen, das eigene Leben für andere hinzugeben (vgl. Joh 15,13). Wenn man jedoch keine Liebe spürt, wenn man sich selbst nicht liebt, dann kann es manchmal schon schwerfallen einfach so weiterzuleben. „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!“ – je mehr Christinnen und Christen dieses Hauptgebot Jesu in ihrem Leben umsetzen, umso mehr können sie und andere ihr Dasein als lebenswert, ja liebenswert erfahren.

Letztlich glauben wir als Christinnen und Christen, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod; deswegen kann kein Tod das Leben endgültig vernichten – auch ein Suizid nicht.

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