Haarige Zeiten
Knapp drei Monate haben die Friseure jetzt geschlossen – wegen Corona. Haare und Frisur sind deswegen ein großes Thema. Der Kopfputz beschäftigt aber nicht nur die Menschen heute, er sorgte schon in der Bibel für Gespräche. Silke Klemm, die Beauftragte für den Bibliolog im Bistum Osnabrück, hat „haarige“ Geschichten im Buch der Bücher gefunden:
Wer hätte gedacht, dass uns das Thema Haare einmal so bewegen würde? Unsere Haarpracht wurde uns von Gott als Schmuck und Schutz für den Kopf gegeben. Schöne Haare sind Ausdruck von Vitalität, Gesundheit und Anziehungskraft. Die Frisur hat etwas mit Kultur, Zeitgeist und Identität zu tun. Wenn die Haare gepflegt aussehen, hebt das unser Selbstbewusstsein. Das macht auch einen guten Eindruck auf unser Gegenüber.
Nun aber wuchert unser Haar seit Wochen auf unseren Köpfen. Langhaarfrisuren und Zopf sind scheinbar im Trend. Wirklich glücklich sind nicht alle darüber. Aber Haare und Frisuren sind zumindest derzeit ein sehr beliebtes Gesprächsthema.
Mich als Bibliologin macht das neugierig. Im Bibliolog ermögliche ich den Teilnehmerninnen und Teilnehmern, die eigenen Lebenserfahrungen mit denen der biblischen Personen zu verknüpfen. So kommen sie zu neuen Erkenntnissen und nehmen Anregungen für das eigene Leben mit. Sehr deutlich wird bei dem Umgang mit biblischen Texten, dass es kaum eine Situation oder menschliche Erfahrung gibt, die sich hier nicht wiederfindet. Was nun erzählt uns die Heilige Schrift über „Haare“?
Haare als Schutz
Zunächst einmal gelten lange Haare in der hebräischen Bibel als ein Zeichen der Stärke. Wer sich Gott weihte und ein Gelübde ablegte, ließ sein Haar frei wachsen und wurde Nasiräer genannt (hebr. nasir = Geweihter). Im Buch der Richter (Ri 13–16) gibt es einen Helden namens Simson, den Gott dazu berufen hatte, das Volk Israel zu befreien, nachdem es 40 Jahre lang von den Philistern beherrscht wurde. Simsons ungeheure Kraft lag in seinen Haaren, die bereits von Geburt an nicht geschnitten werden durften. Seiner Mutter wurde dies vom Engel des Herrn prophezeit (Ri 13,5). Sie hielten sich an diese Weisung und dank seiner Stärke war Simson 20 Jahre lang der Richter des Volkes Israel, unverwundbar durch seine Haare. Eines Tages verliebte er sich in die schöne Delila, die die Philister mit Geld bestachen, um hinter das Geheimnis von Simsons Kraft zu kommen. (Ri 16,17): „Er legte ihr sein ganzes Herz offen und sagte zu ihr: Kein Schermesser ist mir auf den Kopf gekommen; denn ich bin vom Mutterleib an Gott als Nasiräer geweiht. Würden mir die Haare geschoren, dann würde meine Kraft von mir weichen; ich würde schwach und wäre wie jeder andere Mensch.“ Mit dieser Information konnten die Philister ihn bezwingen. Sie schnitten Simson im Schlaf die Haare ab und nahmen ihn gefangen. Nur noch einmal, als sein Haar wieder etwas nachgewachsen war, erlange er die alte Kraft zurück und riss sich und eine große Anzahl Philister in den Tod, indem er ein ganzes Haus einstürzte.
Das Ende dieser Geschichte ist natürlich tragisch, aber wir können doch erkennen, dass Gott seinen Auserwählten Kraft schenkt – in diesem Fall durch das lange Haar.
Lange Haare bei der Frau
Grundsätzlich wird langes Haar jedoch eher als die natürliche Bedeckung einer Frau angesehen. Dieses wird im Hohelied (Hl 4,1 und 6,5) so beschrieben: „Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen, die herabzieht von Gileads Bergen.“ Hier muss man wissen, dass „Ziege“ nicht als Beleidigung gemeint ist, sondern Lebendigkeit und Fülle ausdrückt. Die Ziege lieferte Milch und Fleisch, aus ihren langen Haaren wurden Kleider und andere Dinge gefertigt und aus ihrer Haut Wasserschläuche. Zudem war sie ein wichtiges Opfertier. Schöner konnte man die Lebenskraft, die mit langen Haaren in Verbindung gebracht wurde, damals wohl nicht ausdrücken. Natürlich würden wir eine Liebeserklärung heute anders formulieren, sonst würde die Geliebte wohl das Weite suchen.
Lange Haare bei Krankheit
Wenn die langen Haare und Bärte ungepflegt waren, deutete das oft auf Krankheit hin. Bei Aussatz heißt es im Buch Levitikus (Lev 13,45 – 46): „Der Aussätzige mit dem Anzeichen soll eingerissene Kleider tragen und das Kopfhaar ungekämmt lassen; er soll den Bart verhüllen und ausrufen: Unrein! Unrein! Solange das Anzeichen an ihm besteht, bleibt er unrein; er ist unrein. Er soll abgesondert wohnen, außerhalb des Lagers soll er sich aufhalten.“
Diese Beschreibung erinnert uns doch sehr an die aktuelle Situation mit Covid 19 und der sozialen Isolation durch Quarantäne und Abstandhalten.
Weitere Infos
Silke Klemm ist Bibliologin und angehende Bibliologtrainerin. Sie arbeitet als Gemeindereferentin im Bistum Osnabrück und ist zusätzlich beauftragt mit der Koordination der Regionalgruppe Bibliolog Nordwest (Emsland, Osnabrück, nördliches Münsterland) und Ansprechpartnerin für Bibliolog im Bistum Osnabrück
Auch der Ritus einer Wiederaufnahme von geheilten Menschen kommt unseren Erfahrungen vom Ende einer Quarantäne sehr nahe: Der vom Aussatz Geheilte ging zum Priester, der ihn für „rein“ erklärte. Dann war eine besondere Reinigung nötig (Lev 14,8): „Der sich der Reinigung unterzieht, der soll seine Kleider waschen, sein ganzes Haar scheren, sich in Wasser baden und dann rein sein. Nachher darf er ins Lager kommen, muss aber noch sieben Tage außerhalb seines Zeltes bleiben.“
So viel vorerst zum Thema – auch wenn sich in der Bibel noch mehr haarige Erzählungen und Beschreibungen finden ließen.
Doch zum Glück sehen wir ja Licht am Ende des Tunnels: Ab Anfang März werden die Friseure wieder öffnen. Haben Sie schon einen Termin oder lassen sie ihre Haare wachsen in der Hoffnung auf ungeahnte Stärke oder eine wunderbare Liebeserklärung?