Weniger Priester – mehr Chancen

Fische auf eine Wand gemalt
Bild: photocase.de, suze

In einem Interview mit der Wochenzeitung Kirchenbote hat Bischof Franz-Josef Bode über neue Modelle der Gemeindeleitung im Bistum Osnabrück gesprochen – und darüber, wie es weiter geht, wenn es immer weniger Priester gibt.

Kirchenbote: Am Samstag vor Pfingsten weihen Sie normalerweise im Dom neue Priester. In diesem Jahr nicht, weil es keinen Kandidaten gibt. Was geht in Ihnen vor?

Bischof Franz-Josef Bode: Es macht mich traurig, zumal ich das zum ersten Mal erlebe. Wir haben eben wenig Priesternachwuchs. Dass es keine Weihe gibt, wird sich in den nächsten Jahren wohl wiederholen.

Was bedeutet es für die Kirche, wenn es immer weniger Priester gibt? Funktioniert Kirche ohne Priester?

Die Kirche lebt aus den Sakramenten. Wir bauen die Kirche auf der Grundlage von Taufe und Firmung auf. Aber wenn die Eucharistie nicht gefeiert wird, fehlt der Kirche ihr Kern, ihr Zentrum. Und für die Eucharistiefeier brauchen wir Priester.

Das Zweite Vatikanische Konzil sagt, die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens. Wenn es aber nun zu wenig Priester gibt: Muss es auch sonntags immer die Messe sein?

Es geht darum, dass die Eucharistie gefeiert wird, möglichst regelmäßig, möglichst an jedem Sonntag. Als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens sollten wir sie häufig feiern. Wichtig ist, dass sich die Gemeinde versammelt. Vor diesem Hintergrund kann das an einem Sonntag auch ein Wortgottesdienst sein, gegebenenfalls mit Kommunionspendung.

Sehen Sie im Rückgang des Priesternachwuchses ein Zeichen, einen Anruf des Heiligen Geistes, über die Gestaltung des Priesteramtes nachzudenken?

Bischof Franz-Josef Bode im Gespräch mit Ulrich Waschki, Chefredakteur des Kirchenboten
Bischof Franz-Josef Bode im Gespräch mit Ulrich Waschki, Chefredakteur des Kirchenboten Bild: Kirchenbote

Ich wäre vorsichtig, allzu schnell von einem Zeichen des Heiligen Geistes zu sprechen. Die Situation fordert uns jedenfalls heraus, über die Formen des Priesteramtes nachzudenken, auch über die Art, wie Priester heute leben und wie sie am besten wirken können. Einige Priester können und wollen große Einheiten leiten, andere können oder wollen das eben nicht und sehen sich mehr in der Begleitung. Auch das muss möglich sein. Deshalb möchte ich die Formen des Priesterseins erweitern.

Landläufig herrscht die Meinung, die Kirche müsse nur die Zugangsvoraussetzungen ändern, also den Zölibat abschaffen und Frauen weihen. Wie reagieren Sie darauf?

Weitere Infos

  • „Auf dem Weg zu einer Kirche der Beteiligung“ nennt sich ein Papier mit Leitplanken zum Thema, das sie hier herunterladen können.
  • In einem ausführlichen Werkstattbericht in der Herder Korrespondenz setzt sich Daniela Engelhard, Leiterin des Seelsorgeamts im Bistum Osnabrück, mit denkbaren Leitungsmodellen der Kirche der Beteiligung auseinander.

Wir müssen über die Zulassungsbedingungen nachdenken. Die Frage der „viri probati“, der bewährten Männer in Beruf und Familie, kann man ernsthaft prüfen. Man muss fragen, ob Priesteramt und Zölibat immer miteinander verbunden sein müssen. Die völlige Aufgabe des Zölibats hielte ich aber für nicht sinnvoll. Diese Lebensform ist gut für das Priesteramt. Die Zulassung von Frauen zum Priesteramt steht zurzeit nicht zur Diskussion. Wir sollten aber Frauen verstärkt in kirchliche Leitungspositionen bringen und über den Diakonat der Frau nachdenken.

Im Bistum Osnabrück gibt es derzeit nur vier Männer, die sich auf das Priesteramt vorbereiten. Andere Bistümer leiden auch unter dem Rückgang, aber nicht so stark. Was läuft da anders?

Ich sehe verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen, die zum Priestermangel führen, in allen Diözesen. Es gibt eine gewisse Unfähigkeit, Lebensentscheidungen zu treffen. So wie viele junge Leute vor der lebenslangen Ehe zurückschrecken, tun es andere vor dem Priesteramt. Nur wenige junge Männer wollen sich für ihr ganzes Leben auf einen solchen Beruf mit dieser Lebensform einlassen. Es ist ja auch ein großer Schritt, mit Haut und Haaren Agent dieser Kirche sein zu wollen, die so viel Vertrauen verloren hat. Wenn die Beziehung zur Kirche, zur Eucharistie, so weit zurückgeht, wie es heute der Fall ist, können wir nicht erwarten, dass sich viele Männer zum Priesteramt berufen fühlen.

Ist das Bistum Osnabrück bei der Zulassung von Kandidaten strenger als andere Bistümer?

Wir haben uns nie hinreißen lassen, weniger gewissenhaft in der Auswahl zu sein, weil es so wenige Kandidaten gibt. Es darf nicht sein, dass wir nicht genau hinschauen, aus welcher Motivation junge Leute kommen. Daran wird sich auch nichts ändern.

Was macht denn einen guten Priester aus?

Er muss von Gott so begeistert sein, dass alle spüren, er lebt aus einer tiefen Quelle und hat sein Leben an Gott festgemacht. Und er muss eine große Liebe zu den Menschen haben, sonst kann man kein Priester sein, der Gott und den Menschen nahe ist. Der Hauptdienst des Priesters ist, die verschiedenen Fähigkeiten und Charismen in der Gemeinde zusammenzuhalten und sie zur Einheit zu führen. Nicht im Sinne eines Managers, sondern geistlich. Der Priester feiert die Eucharistie, die immer mit dem Ursprung, also mit Jesus, und der ganzen Kirche verbindet. Für diese Einheit steht er. Das ist seine Hauptaufgabe. Alles andere können andere tun.

Sie haben deutlich gemacht, dass im Bistum die 72 pastoralen Einheiten, also die fusionierten Pfarreien und die Pfarreiengemeinschaften nicht noch größer werden sollen. Aber Sie haben bald nicht mehr genügend leitende Pfarrer. Was passiert dann?

Zwei neue Begriffe

Der Pfarrer steht der Gemeinde vor und nimmt die Leitungsaufgabe wahr – so schreibt es das Kirchenrecht vor. Im Canon 517, Paragraf 2, wird aber eine Ausnahme zugelassen, wenn nicht genügend Priester für diese Aufgabe zur Verfügung stehen. Darauf berufen sich derzeit viele Bistümer in Deutschland, die darüber nachdenken, wie sie Abhilfe schaffen können. Im Bistum Osnabrück ergeben sich daraus zwei neue Begriffe:

Pfarrbeauftragter: Das ist ein Pastoral- oder Gemeindereferent (männlich oder weiblich) oder ein Ständiger Diakon. Zusammen mit dem Seelsorgeteam fällt der Pfarrbeauftragte wichtige Entscheidungen. Zum Beispiel nimmt der Pfarrbeauftragte Leitung wahr in den pastoralen und personalen Entscheidungen vor Ort, etwa bei der Einstellung von Mitarbeitern in den Einrichtungen und bei der Dienstaufsicht.

Moderierender Priester:
Im Gegensatz zum leitenden Pfarrer lebt er nicht innerhalb der Gemeindegrenzen, sondern übt an einem anderen Ort bereits eine Aufgabe aus, zum Beispiel als Seelsorger im Krankenhaus oder an einer Schule. Er begleitet den Pfarrbeauftragten und das Seelsorgeteam, übt priesterliche Dienste aus und hat die geistliche Verantwortung für den Weg der Pfarrei.

Wir wollen den Menschen vor Ort seelsorglich nah bleiben. Das geht nicht, wenn wir die Einheiten immer größer machen. Es gibt noch einige wenige kleinere Einheiten, die man eventuell zusammenführen kann. Aber es wird bei etwa 70 in unserem Bistum bleiben. Dann muss ich aber in Kauf nehmen, dass es nicht überall vor Ort einen Pfarrer gibt, wohl aber einen zuständigen Priester. Er begleitet die Pfarreiengemeinschaft, in der ein Laie die pfarrliche Leitung hat. Das ist ein neues Modell, das aber das Kirchenrecht ausdrücklich vorsieht. Damit befassen wir uns zurzeit in der Bistumsleitung und in den Gremien. Für dieses Modell kommt aber nur ein Teil der Gemeinden in Frage.

Also kein leitender Pfarrer mehr, sondern ein Seelsorgeteam, an dessen Spitze ein Laie steht?

Ja, den nennen wir dann Pfarrbeauftragter. Das kann eine Pastoralreferentin sein, ein Gemeindereferent oder ein Diakon. Jemand, der auch die theologischen Voraussetzungen erfüllt. Dazu kommt ein moderierender Priester aus dem näheren Umfeld, der die Gemeinde begleitet. Er ist für die geistlichen Belange zuständig in engem Kontakt mit dem Team vor Ort. Er spendet Sakramente, begleitet die Menschen, bestimmt die Richtung der Gemeinde mit. Damit wird der Priester der Seelsorger der Gemeinde und der Verantwortlichen, er ist nicht der „Manager“. Aber das gilt eben nur für einige Gemeinden. Dann haben wir vier Formen des Priesteramtes: Leitende Pfarrer in großen Einheiten, Pfarrer in kleineren Einheiten, Pastöre zur Mitarbeit und moderierende Priester. So können wir verschiedenen Situationen und Fähigkeiten eher gerecht werden.

Wenn der Priester von außen kommt, was bedeutet das dann?

Er ist Teil des Seelsorgeteams, hat aber vielleicht noch andere Aufgaben. Er kann pensionierter Pfarrer sein, Domkapitular, Schul- oder Krankenhausseelsorger. Weil er nicht leitender Pfarrer ist, muss er aber nicht dauernd anwesend sein. Er sollte in der überschaubaren Umgebung der Pfarrei wohnen. Schließlich muss er regelmäßigen Kontakt haben, die Leute sollen ihn gut kennen.

Der leitende Pfarrer einer Pfarreiengemeinschaft kümmert sich dann auch noch um die Nachbarpfarrei?

Nein, das wird nicht gehen. Ein leitender Pfarrer hat schon genug zu tun. Wenn ein solcher Pfarrer in den Ruhestand geht und noch fit ist, könnte er dann als moderierender Priester eine andere Pfarreiengemeinschaft begleiten. Ein Modell haben wir schon: Die Krankenhausseelsorger in Bremen bilden zusammen ein Krankenhauspfarramt. Dieses wird von einem Laien geleitet und von einem Priester begleitet.

Der Pfarrbeauftragte entscheidet dann etwa über die Einstellung einer Erzieherin im Kindergarten?

Ja, er nimmt wirklich Leitung wahr, er hat etwa die Dienstaufsicht. Aber er ist in ein Team eingebunden, in dem die Dinge gemeinsam besprochen werden. Für das Modell müssen alle Dienste in einer Gemeinde ihr Zusammenwirken neu bedenken. Deswegen möchte ich, dass wir in absehbarer Zeit einzelne Versuche angehen, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Damit sollten wir im nächsten Jahr starten. Ich habe das Modell den Priestern und Berufsgruppen vorgestellt. Nach meinem Eindruck ist die Reaktion sehr wohlwollend. Auch, weil die davorliegende Entscheidung, die Einheiten nicht noch größer zu machen, mit Erleichterung aufgenommen wurde.

Gibt es Kriterien, für welche Gemeinde das Modell in Frage kommt?

Ich möchte nicht, dass wir das auf die kleinsten Gemeinden beschränken. Ich werde aber sicher nicht die größten Einheiten mit vielen Einrichtungen auswählen. Sie müssen überschaubar sein. Auch muss sich das Modell organisch aus örtlichen und personellen Voraussetzungen ergeben. Es gibt übrigens durchaus Gemeinden, die sich dafür selbst ins Gespräch bringen. Sehr wichtig sind die zusammenwirkenden Personen.

Ein solches Team zusammenzuhalten, in dem ein Priester dann nicht leitet, Rollen sich stark verändern, ist eine hohe Anforderung. Das kann auch ordentlich knallen.

Deswegen müssen die Beteiligten aus gutem geistlichen Grund leben und ihre Rollen überdenken und neu einüben. Sonst geht das nicht. Es verändert sich viel für die Beteiligten, auch für die Gemeinden, aber wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher. Ich habe eine konkrete Vorstellung davon, wie Kirche bei uns künftig aussehen kann. Das gibt mir Zuversicht.

Wie ist das Bild entstanden? Ist das vom Himmel gefallen, haben Sie gebetet, mit anderen geredet?

Wir haben uns mit den Realitäten auseinandergesetzt. Kirchenrechtlich gibt es diese Möglichkeit. Und wir haben bei uns immer schon die Verantwortung der Laien betont und gestärkt. Dies ist ein Modell von mehreren unserer „Kirche der Beteiligung“: Ehrenamtliche Gemeindeteams vor Ort, pastorale Koordinatoren, die einem leitenden Pfarrer zugeordnet sind und jetzt die Pfarrbeauftragten. Das sind drei Möglichkeiten, wie wir in Zukunft Pfarreien gestalten können.

Wenn man ehrlich ist, sind diese Überlegungen durch eine Mangelsituation entstanden. Aber um es auch mal von der anderen Seite zu betrachten: Sehen Sie auch eine Chance in diesen Entwicklungen?

Der Anlass ist der Mangel, das ist richtig. Aber vielleicht will uns diese Zeit zeigen, dass wir nur noch so gemeinsam Kirche sein können. Wir müssen möglichst viele Menschen befähigen, Zeugnis zu geben, vom Glauben zu sprechen und Verantwortung zu übernehmen. Das kann nicht nur bei den Priestern liegen, sondern bei möglichst vielen – Haupt- wie Ehrenamtlichen. Die Kirche wird bunter, vielfältiger. Vielleicht entsteht aus dieser Vielfalt neu die Sehnsucht nach dem Dienst an der Einheit, den der Priester lebt. Wir hören aus anderen Teilen der Welt, dass aus Familien, die sich so einsetzen, auch wieder Priester hervorgehen. Der Dienst des Priesters wird dabei nämlich deutlicher: dass die Eucharistie sammelt und zur Einheit führt.

Das Gespräch führten Ulrich Waschki und Matthias Petersen