Humor statt Schubladen: Vorurteile erkennen und überwinden

Schrank mit Schubladen
Bild: AdobeStock.com, Sergey Skleznev

Frauen können gut kochen, Jungs spielen gerne Fußball und Deutsche sind immer pünktlich – Vorurteile, die jeder kennt. Solche Annahmen helfen uns im Alltag, denn das Hirn kann effektiver arbeiten, wenn es sich an Mustern orientiert. Vorurteile können aber auch zu Diskriminierung führen, wenn wir, bewusst oder unbewusst, über Menschen urteilen und dieses Urteil unser Verhalten ihnen gegenüber beeinflusst.

Ranna El Moussaoui hat islamische Theologie und Politikwissenschaften an der Universität Osnabrück studiert und schreibt gerade an ihrer Bachelorarbeit über die Integration muslimischer Wohlfahrtspflege in die deutsche Wohlfahrtsinfrastruktur. Im Rahmen ihres Studiums hat sie im Frühjahr 2024 ein Praktikum bei Michael Schober gemacht. Der Theologe ist im Bistum Osnabrück Beauftragter für den interreligiösen Dialog. Im Interview erzählen die beiden von ihren Erfahrungen mit Vorurteilen – und von Ideen, wie man damit umgehen kann.

Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema Vorurteile?

El Moussaoui: Mir begegnen Vorurteile jeden Tag, weil ich aufgrund meines arabischen Aussehens oft muslimisch gelesen werde. Ich habe arabische Wurzeln, bin aber keine praktizierende Muslima. Trotzdem wird mir der Glaube oft zugeschrieben, zum Beispiel stand auf meinem Abiturzeugnis „muslimisch“, obwohl ich gar keine Konfession habe. Das ist jetzt ein relativ harmloses Beispiel, tatsächlich habe ich aber auch oft mit antimuslimischem Rassismus zu tun. Wenn ich mit Freundinnen abends im Café sitze, werden wir angesprochen: „Wissen denn eure Brüder, dass ihr hier seid?“ Oder wenn man eine Wohnung sucht, wird gefragt. „Wann heiraten Sie denn, dann kriegen Sie ja sicher viele Kinder – das ist aber hier nur eine Wohnung für eine Person, das wissen Sie?!“    

In Kürze

Auf der Internetseite des Anne Frank Hauses in Amsterdam gibt es einen empfehlenswerten Überblick zu den Themen Vorurteile und Diskriminierung. Dort werden drei Schritte genannt, die helfen, Vorurteile abzubauen:

  1. Sich bewusst machen, dass es Vorurteile gibt und sie hinterfragen
  2. Darauf achten, dass Vorurteile nicht das eigene Verhalten bestimmen
  3. Menschen widersprechen, die Vorurteile verbreiten

Schober: Das Beispiel mit der Wohnungssuche ist ein massives Problem, das habe ich in meinem Kontext schon oft gehört und da sieht man auch, dass Vorurteile ernste Folgen haben können. Im Extremfall können sie zu feindlichen Haltungen wie Islamfeindlichkeit und Antisemitismus führen, die sich dann auch in den Strukturen unserer Gesellschaft niederschlagen. Ich halte das Thema Vorurteile für eins der wirklich drängenden mit Blick auf die Spaltung unserer Gesellschaft. Vielen Menschen wird in den verschiedensten Bereichen immer noch die Teilhabe verwehrt. Für Menschen, die in der Minderheit sind, haben verfestigte Vorurteile fatale Folgen, weil sie so gar nicht mehr die Möglichkeit bekommen, ihre eigene Sicht einzubringen. Es gibt die Theorie von einer Blasengesellschaft, wo jeder nur in seiner Bubble ist und Hass und Hetze bleiben dann einfach so stehen, weil niemand miteinander spricht. Dem möchte ich etwas entgegensetzen, die Leute sensibilisieren, den Dialog suchen.

Haben Sie selbst auch Vorurteile?

Schober: Die interkulturelle Forschung geht davon aus, dass wir alle zunächst einmal Vorurteile bzw. vielleicht besser Vorannahmen haben, das lässt sich gar nicht vermeiden. So lange ich bereit bin, diese Annahmen mit der Realität abzugleichen, ist das ja in Ordnung. Schwierig wird es nur, wenn wir Leute in Schubladen sperren und nicht bereit sind, die eigene Einschätzung zu korrigieren. 

bunte Holzsteine

El Moussaoui: Dass Erfahrungswerte immer wieder in unser Urteilsvermögen mit reinspielen ist ja klar. Man sollte da auch nicht zu hart zu sich selbst sein – es ist okay, Vorannahmen zu haben, ganz los wird man die nicht. Aber man sollte trotzdem offen durch die Welt gehen und niemandem aufgrund von Vorurteilen schlechtere Chancen einräumen. Dafür muss man natürlich an sich arbeiten, das muss ich auch: Öfter mal kurz in sich gehen und sich selbst immer wieder fragen: Was denke ich gerade über diese Person? Weiß ich das wirklich? Woher kommt das?

Gibt es denn auch positive Vorurteile?

El Moussaoui: Ich finde das Wort „Vorurteil“ eigentlich schon negativ, weil warum sollte man urteilen, wenn man etwas nicht weiß? In Vorurteilen steckt immer eine Bewertung drin. Wenn die Leute zum Beispiel über mich sagen: „Ah, sie studiert, dann ist sie wohl westlich orientiert“, dann treffen Sie ja eine Annahme über mich, zu der ich mich verhalten muss. Das kann im privaten Kontext einfach nur nervig sein, aber in vielen anderen Zusammenhängen eben auch gefährlich. Zum Beispiel, wenn Migranten eine schlechtere Gesundheitsversorgung bekommen: Weil ihnen nachgesagt wird, dass sie emotionaler oder dramatischer sind, werden Symptome oder Schmerzen nicht ernst genommen. Solche Probleme sind dann echt weitreichend und deswegen muss man – egal, ob die Vorannahme positiv oder negativ ist – schon im Kleinen damit brechen.

Schober: Zu den positiven Zuschreibungen kenne ich auch einen guten Film, in dem das thematisiert wird. Da wird zum Beispiel gesagt: „Alle Jungs können gut Fußball spielen.“ Aber was bedeutet das für einen Jungen, der nicht gut Fußball spielen kann oder möchte? Das kann ja für den dann zu einem Problem werden, wenn der überlegt: „Bin ich denn trotzdem ein richtiger Junge oder ist an mir jetzt etwas falsch?“

Auch im religiösen Kontext gibt es viele Vorurteile, die nicht selten zu ernsten Konflikten führen …

verschieden Eier

Schober: Unwissenheit und Vorurteile gehen oft zusammen, deswegen müssen wir unbedingt immer miteinander reden und offen füreinander sein – vor allem mit Menschen, die uns fremd sind und uns im Alltag nicht regelmäßig begegnen. Die Erfahrung im interreligiösen Dialog ist da sehr hilfreich: dass man auch mal etwas stehen lassen kann. Man muss sich nicht immer auf alles einigen. Wir erfahren im Dialog eben auch Verschiedenheit und merken, dass die gut sein kann – oder zumindest nicht problematisch sein muss. Man ist schon einen Schritt weiter, wenn man respektiert, dass dem anderen etwas wichtig ist, auch wenn man es selber nicht teilt.

Wie kann man Vorurteile abbauen?

Schober: Was ich mir wünschen würde: Deutlich mehr Sensibilität und natürlich auch ein Engagement von allen in der Gesellschaft, etwas gegen Vorurteile zu tun. Als ersten Schritt ist es glaube ich wichtig, wahrzunehmen, dass es so etwas wie Alltagsrassismus überhaupt gibt, das wird ja oft bestritten oder heruntergespielt. Dann wäre etwas mehr Gelassenheit in den Debatten zum Thema gut. Da werden manchmal künstliche Gegensätze aufgemacht und Dinge problematisiert, die eigentlich kein Problem sein müssten. Oft thematisieren Betroffene Vorurteile nicht, weil Menschen sich dann sofort angegriffen fühlen: „Ich bin doch kein Rassist!“ – so kommt man dann natürlich nicht weiter. Mir ist es wichtig, über das Thema zu sprechen, ohne jemanden zu verletzen oder anzugreifen. Bei Vorträgen, die ich halte, zeige ich oft einen Film, der Vorurteile über Deutsche humorvoll auf den Prüfstand stellt und so kommt man dann eben ins Gespräch und kann sich besser kennenlernen …

Weitere Infos

  • Woher kommen Vorurteile und was kann man gegen Sie tun? Das wird hier im Film kinderleicht erklärt. Ein ausführliches Dossier dazu gibt es auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
  • Die YouTuber der „Datteltäter“ veröffentlichen regelmäßig Videos über gängige Stereotypen und Vorurteile von und vor allem gegenüber Muslim*innen. Hier stellen sie Vorurteile über Deutsche humorvoll auf den Prüfstand.
  • Einen oscarprämierten Kurzfilm zum Thema Alltagsrassismus finden Sie hier.
  • Mehr über den interreligiösen Dialog im Bistum Osnabrück erfahren Sie hier.
  • Toleranz zum Üben: Die AG Politische Bildung im Bistum Osnabrück hat Materialien zum Ausleihen entwickelt, die helfen, sich vom Schubladendenken zu lösen. Mehr dazu erfahren Sie hier im Flyer.
  • Mehr zum Thema Humor im Islam können Sie hier im Blog des Islamwissenschaftlers Hussein Hamdan lesen.

El Moussaoui: Das kenne ich auch: Wenn zum Beispiel jemand zu mir sagt: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ und dann sage ich „Danke, Sie aber auch!“, wird die Situation ein wenig aufgelockert und dann kann man sich viel besser begegnen. Das geht natürlich nicht immer – wenn ein Vorurteil feindselig ist, dann möchte ich da auch nicht drüber lachen, aber oft ist es auch einfach Unwissenheit oder Unsicherheit und keine böse Intention. Ich denke, zum einen sollte man die Unterschiede zwischen den Menschen akzeptieren, aber auf der anderen Seite auch offen dafür sein, dass manche gar nicht anders sind – nur weil jemand Hassan heißt und aus Syrien kommt, ist der nicht automatisch Muslim. Der kann auch Christ sein, der kann mit dir zusammen in die katholische Kirche gehen. Wenn man für sich verinnerlicht, dass man vieles über die Menschen eben nicht auf den ersten Blick wissen kann, geht man meiner Meinung nach auch einfach ein bisschen schöner durch die Welt, weil man immer wieder überrascht wird.