Kein unbeschriebenes Blatt Papier

Herz auf einem Blatt mit Füller geschrieben
Bild: unsplash.com, unlleo

„Konntest du mir diese Erniedrigung nicht ersparen“, fragte das Papier erzürnt die Tinte. „Du hast mich beschmutzt mit deiner Schwärze und so für immer ruiniert!“ „Warte ab!“ antwortete die Tinte, „ich habe dich nicht besudelt, sondern mit Schrift versehen. Jetzt bist du kein bloßes Blatt Papier mehr, sondern eine Botschaft.“ (nach Leonardo da Vinci)

Diese Erzählung habe ich vor kurzem in einem Kalender gelesen. Seitdem lässt sie mich nicht mehr richtig los. Richtige Briefe, von Hand mit Tinte geschriebene, persönliche Briefe, die gibt es immer weniger. Viele von uns schreiben eher E-Mails oder simsen oder twittern oder vernetzen sich in Facebook.

Die Erzählung löst ganz unterschiedliche Gedanken bei mir aus.

Über den Autor

Johannes Wübbe ist Weihbischof in unserem Bistum. Auf wen er in seinem Alltag trifft und was ihn bewegt – wir werden das in seinen Blogbeiträgen verfolgen.

Wir Menschen sind kein ‚weißes’, unbeschriebenes Blatt Papier. Da sind Erfahrungen und Begegnungen, die uns prägen. Die können sehr verschieden sein: Die einen müssen Erfahrungen machen, die sie sich beschmutzt, verletzt, ruiniert fühlen lassen, und dies oft ein Leben lang. Andere erleben Gott sei Dank Anderes: Da sind gute und wertvolle Erfahrungen, die ihrem Leben eine ganz eigene Handschrift verleihen.

Die kurze Erzählung beschreibt noch ein Drittes: dass nämlich ein Blatt zu einer Botschaft wird, indem es jemand mit einer Schrift versieht. Das, was hier von Blatt und Tinte ausgesagt wird, schreibt Paulus der Gemeinde in Korinth so: „Ihr seid ein Brief Christi, von uns geschrieben, aber nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes: nicht auf Steintafeln, sondern in die Herzen der Menschen.“ (2 Kor 3,3).

Paulus beschreibt eine ganz besondere Art von ‚Brief’: Die ihm anvertrauten Gemeindemitglieder und damit auch wir, die diese Zeilen heute lesen, sind „ein Brief Christi“. In unserem Gesicht, in unserem Herzen, in unseren Gesprächen, in unseren Gesten kann man von Gott lesen, kann man von Christus lesen. Seine Worte, sein Leben sind in uns eingeschrieben. Je mehr wir Gott Raum geben, desto mehr werden wir von diesem Gott und seiner Art geprägt sein. Und wer uns so begegnet, muss keine Sorge haben, dass wir sein Leben ruinieren …

„Ihr seid ein Brief Christi“, es könnte Verheißung, Zusage und Auftrag gerade auch für die nächsten Wochen sein, das auf dem Weg nach Ostern hin wieder deutlicher ablesbar zu machen.

Ein Kommentar zu “Kein unbeschriebenes Blatt Papier

  1. Lieber Weihbischof Johannes, Danke für diese berührende Geschichte. „Ihr seid ein Brief Christi …“ (2 Kor 3,3). Möchte man dieses Wort, welches wie eine Berufung, ja fast wie eine Auszeichnung klingt, nicht auch allen zurufen, die sich in diesen Wochen und Monaten in den neu gewählten Gremien zusammenfinden und Verantwortung vor Ort in den Gemeinden, Dekanaten und im Bistum übernehmen? Mir scheint, dass „neue Handschriften“ in der gegenwärtigen schwierigen und herausfordernden Situation unserer Kirche bitter nötig sind und überzeugende Anstöße werden können, um ein „Gott Raum Geben“ möglich zu machen.
    Den Mut zu „neuen Handschriften“ wünsche ich auch den versammelten Bischöfen nächste Woche in der DBK in Lingen. Und ebenso uns in den Gemeinden, dass wir das Beten für diesen Mut ganz wichtig finden.

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