Kluge Löcher bohren
In den vergangenen Tagen habe ich das Buch „Gegen die neue Härte“ von Judith Kohlenberger gelesen. Mich hat der Titel neugierig gemacht. „Gegen die neue Härte“ ist nicht nur eine Lektüre für den Urlaub. Es ist ein Plädoyer, der neuen Härte in all ihren Ausdrucksformen die Stirn zu bieten.
Ob es die Enge eines materialistischen Denkens und Handelns, der damit verbundenen Fremdenfeindlichkeit oder eines weltanschaulichen Faschismus ist: Lassen wir uns nicht einsperren in eine Welt der Vereinfachung und Gewalt. Denken wir an die Errungenschaften der Europäischen Union, das friedliche Zusammenleben in weiten Teilen Europas in den vergangenen Jahrzehnten. Lassen wir uns diese Hoffnungszeichen nicht zerstören.
In ihrem Buch macht Judith Kohlenberger darauf aufmerksam: Räumlichen oder auch emotionalen Grenzen müssen nicht aufgeweicht oder abgeschafft werden. Sie können uns schützen. Doch unsere Grenzen – ob geographisch, sozial oder kulturell – können wir durchlässiger gestalten und damit der Härte, der Absperrung, die Kraft der Offenheit entgegensetzen. Wir brauchen auch die Erfahrung der Nähe, um unser Zusammenleben friedlich zu gestalten. Wir sind auf eine konstruktive Konfliktgestaltung angewiesen.
Über den Autor
Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.
Am Beispiel der Migranten- und Flüchtlingsentwicklung zeigt Judith Kohlenberger, wie schnell es zu Verrohung und Gewaltbereitschaft kommt. Sie ermutigt uns, in den verschiedenen Bereichen unseres Lebens Nähe und Verbundenheit, Interesse, Wärme und Empathie einzubringen. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft und Kirche sind wir hart an der Grenze, wo wir Freude und Zerbrechlichkeit draußen lassen. Die Nachrichten der vergangenen Tage und Wochen zeigen deutlich: Die Verhärtung besonders im politischen Alltag nimmt zu. Wo sind Frauen und Männer, die kluge Löcher in die Mauer der Verhärtung bohren?