Mit Anstand streiten

Lego-Figur unter dem Schuh
Bild: unspalsh.com, James Pond

„Ich, der Gefangene im Herrn, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens.“

Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde der Christen in Ephesus (Eph 4, 1-3), Neue Einheitsübersetzung

 

Seit Wochen und Monaten ist immer wieder vom „christlichen Abendland“ die Rede und von der „christlichen Identität Europas“. Selten wird diese Rede mit konkreten Inhalten gefüllt. Zumeist soll das Wort als „Kampfbegriff“ vermeintlich gegenläufige kulturelle Einflüsse abwehren: „Ihr gehört nicht dazu!“

Ein kurioses Beispiel lieferte Bayern: Seit dem 1. Juni müssen dort in allen Amtsstuben Kreuze hängen. Das Kreuz sei ein grundlegendes Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung, so begründete das der bayerische Ministerpräsident. Kritiker – auch aus den Kirchen – entgegneten, es sei vielleicht sinnvoller, seine Identität nicht nur an die Wand zu nageln, sondern sie zu leben.

Genau daran mahnt mit schönen Worten der Apostel Paulus die Christen in Ephesus. Er sagt: Christ sein hat Konsequenzen für das persönliche Leben. Führt ein Leben, das des Rufes würdig ist, der an euch erging.

Wenn man dieses Wort an die politischen Debattenbeiträge unserer gewählten Amtsträger anlegt (von den Hass erfüllten Entgleisungen in den sozialen Netzwerken gar nicht zu reden), muss man fragen: Erinnern sich die Berufenen eigentlich noch des Rufes, der an sie erging – als Christen und als gewählte Amtsinhaber?

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In diesen Tagen sah sich sogar der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes herausgefordert, „der inakzeptablen Rhetorik“ in den Asyl- und Migrationsdebatten Einhalt zu gebieten. Ein Zwischenruf des höchsten deutschen Richters, der dem Weckruf des Apostels Paulus durchaus ähnlich ist. Paulus sagt: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des Friedens“. Das heißt nicht, einem ordentlichen und zugespitzten Streit in den großen Fragen unserer Zeit aus dem Wege zu gehen. Auch Christen müssen nicht mit Wattebäuschchen werfen, wenn es darum geht, klare Kante zu zeigen! Aber bitte mit Anstand streiten – ja, das Wort gibt es noch. Wer für den Urlaub noch ein lesenswertes und unterhaltsames Buch sucht – hier ist der Titel: „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ von Axel Hacke.

Gerrit Schulte, Diakon