Mit Beharrlichkeit und Hoffnung durch die Krise
Neues Jahr, neues Glück müsste es eigentlich gerade heißen – der Jahresanfang 2021 fühlt sich aber für die meisten Menschen so gar nicht glücklich an: Corona dämpft die Stimmung. Wie ist es möglich, trotz der nicht enden wollenden Krise weiter durchzuhalten und die Hoffnung nicht zu verlieren?
Der Theologe und Lebensberater Christoph Hutter ist Leiter des Referats Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung im Bistum Osnabrück. Im Interview erklärt er, was die Stimmung drückt und zeigt, welche Spielräume für Hoffnung es weiterhin gibt.
Herr Hutter, wie erleben Sie die aktuelle Situation in den Beratungsstellen und in Ihrem Alltag?
In der Tat greift das Coronathema mit großer Wucht um sich. Menschen stecken sich nicht nur am Virus an, sondern auch an der Corona-Stimmung. Es ist schon auffällig, wie viele Menschen gerade gereizt und überspannt sind. Sie versuchen sich an irgendetwas oder irgendwem abzuarbeiten. Die meisten merken dabei nicht, dass das verschobene Gefühle sind: Weil dem eigentlichen Gegner – Corona – nicht beizukommen ist, sucht man sich eben andere Gegner: die Politik, die Vorgesetzten, Partnerin oder Partner.
Ein anderes Phänomen, das Corona mit sich bringt, ist ein Tunnelblick: Plötzlich wird ein Thema immer dominanter und verdrängt viele andere Angelegenheiten, die eigentlich auch sehr wichtig wären.
Dazu kommt die objektive Belastung, zum Beispiel durch Homeschooling in Kombination mit Homeoffice, durch finanzielle Einschnitte und Kontaktarmut. Manchmal hat man den Eindruck, dass etwas Depressives um sich greift. Da überlagern sich gerade aber auch Phänomene. Wir sind in der dunklen Jahreszeit, in der viele Menschen ohnehin mit einer gedämpfteren Stimmung zu kämpfen haben. Viele Strategien, die dagegen helfen würden – wie Rausgehen, Sport machen oder Menschen treffen – sind jetzt auch noch verboten. In der Summe entsteht dann diese Corona-Stimmung: der Eindruck, eingesperrt, zermürbt oder genervt zu sein.
Abstand halten, Einschränkungen akzeptieren, die Hoffnung nicht verlieren – wie können wir es schaffen, weiter durchzuhalten?
Zum einen würde ich gerne noch einmal auf die vorherige Frage zurückkommen: Wenn es stimmt, dass wir inzwischen einen Tunnelblick entwickelt haben, dann wäre es wichtig, das zu korrigieren. Wir sollten bewusst wahrnehmen, dass es noch andere Themen gibt, außer Corona.
Termin
„Was macht Corona mit uns und unserer Gesellschaft?“ Dazu spricht Christoph Hutter in einer Onlineveranstaltung der Katholischen Erwachsenenbildung am Mittwoch, 3. Februar um 18 Uhr. Die Teilnahme kostet fünf Euro. Anmeldung unter www.keb-os.de oder Telefon 05 41/3 58 68 71.
Zum anderen sollten wir die Spielräume erkennen, die die Corona-Bedingungen uns lassen. Es stimmt eben nicht, dass man mit Maske nicht Lächeln kann. Es stimmt auch nicht, dass man sich am Telefon, oder in einer Online-Sitzung nicht nahekommen kann – manche Familien treffen sich per Video jetzt öfter und intensiver als vor der Pandemie! Es gibt unkonventionell organisierte und oftmals frei dargebotene Kulturangebote und viele kreative Initiativen, um trotz der Abstandsregeln denjenigen zu helfen, die unter den Corona-Bedingungen besonders leiden. Diese positiven Effekte müssen wir uns unbedingt bewusst machen, schon deshalb, weil wir sie nach der Pandemie beibehalten sollten.
Ein weiterer Punkt: Corona lehrt uns, dass es sich lohnt, auf Dinge zu verzichten, weil es größere und langfristige Ziele gibt. Damit meine ich nicht nur das Ende der Pandemie, sondern auch Themen wie Klimaschutz oder Verteilungsgerechtigkeit.
Was macht Corona mit uns als Gesellschaft – und was können wir dem entgegensetzen?
Die Covid-19-Pandemie wirkt wie ein Vergrößerungsglas. Sie hat uns manche Missstände vor Augen geführt, die wir vorher schon ahnten, aber nicht anschauen wollten. Der Digitalisierungsstau wäre dafür ein Beispiel, die Gefahr des Abbaus von Krankenhauskapazitäten, gesellschaftliche Abschottungs- und Spaltungstendenzen, aber auch die große Bedeutung, die das Thema Einsamkeit in unserer Gesellschaft hat.
Hilde Domin hat in einem wunderbaren Gedicht geschrieben: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten“. Diese Haltung der Beharrlichkeit und Hoffnung ist gerade wichtig. Wenn wir durchhalten wollen, dann müssen wir das gemeinsam machen. Wir sollten uns gegenseitig anfeuern und ermutigen, weil diese Pandemie eines Tages vorbei sein wird.
Weitere Infos
- Die Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsbeartungsstellen des Bistums Osnabrück sind an den verschiedenen Standorten auch während der Corona-Krise erreichbar. Wo und wie genau steht auf der Internetseite der Beratungsstellen.
- Die Online-Seelsorge des Bistums Osnabrück ist per E-Mail erreichbar. Weitere Informationen dazu gibt es hier.
- Im Bistum Osnabrück gibt es während der Coronakrise tolle Initiativen, um eine lebendige Glaubensgemeinschaft zu bleiben – Beispiele werden gesammelt unter dem Stichwort #bistumosnada.
- Weitere Informationen zu Corona im Bistum Osnabrück finden Sie hier.
Gleichzeitig möchte ich an einen Gedanken von oben erinnern: Corona lässt uns immer noch Freiräume, in denen wir etwas gestalten können. Dies gilt für den privaten Raum, in dem wir Zeit sinnvoll nutzen können, es gilt für den Bereich von Beziehungen, die auch unter Corona-Bedingungen gepflegt werden können. Es gilt aber vor allem auch für Kirche und Politik, die nicht nur in Corona-Zeiten den öffentlichen Raum und das gesellschaftliche Leben gestalten. Für alle gilt es, Spielräume wahrzunehmen und zu nutzen!
Was können wir aus der Krise lernen?
Ich bin überzeugt, dass in der Corona-Krise viele Lektionen verborgen sind, mit denen wir uns beschäftigen sollten.
Ein erstes Beispiel dafür ist die Entlastung, von der viele Menschen am Beginn des ersten Lockdowns berichtet haben. Unsere gesellschaftliche Steigerungs- und Beschleunigungslogik bringt viele Menschen an den Rand ihrer Kräfte oder treibt sie in die Erschöpfung. Der erzwungene Stillstand hat dies nicht nur eindrücklich spürbar gemacht, sondern sogar bewiesen, dass es auch anders geht.
Ein zweites Beispiel ist, dass die Irritationen, die Corona mit sich bringt, bei vielen Menschen existentielle Fragen aufgeworfen haben. Was ist gutes Leben? Wie möchte ich leben? Was steht mir zu? Steht es mir zu, in den Urlaub zu fliegen? Gehört das wirklich zu einem guten Leben? Und was macht eigentlich Beziehungsqualität aus? All das sind wichtige Fragen, die in dem Trubel vor Corona oft untergegangen sind.
Und schließlich – um ein drittes Beispiel zu benennen – wäre es wichtig, dass wir die sozialen Fragen weiterverfolgen, die uns Corona so eindrücklich auf die Tagesordnung gesetzt hat. Insbesondere die Fragen der Spaltung unserer Gesellschaft und der gesellschaftlichen Gerechtigkeit müssen dringend wachgehalten werden. Das ist auch eine zentrale Aufgabe der Kirche. Die Krise zeigt, dass die Pastoral immer Sozialpastoral sein muss, sonst lässt sie Menschen in der Krise allein.