Raum mit offenem Fenster

zwei offene Fenster
Bild: pixabay.com, christels

„Gibt es Gott?“, fragt der Yuval Noah Harari in seinem neuen Buch „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Harari versteht sich als Aufklärer, der die Religionen, die Philosophie und überhaupt wissenschaftliche Reflexionen nach ihrer praktischen Relevanz für den Alltag in einer globalisierten Welt bewertet.

„Wenn die Menschen beim Besuch eines Tempels Frieden und Harmonie erfahren, so ist das wundervoll. Wenn aber ein bestimmter Tempel Gewalt und Konflikte auslöst, wozu sollten wir ihn dann brauchen? … Keinerlei Tempel zu besuchen und an keinerlei Gott zu glauben, ist ebenfalls eine mögliche Option. Wie die letzten Jahrhunderte belegen, müssen wir nicht Gottes Namen beschwören, um ein moralisches Leben zu führen. Auch der Säkularismus kann uns mit all den Werten versorgen, die wir brauchen.“ (S. 270)

Was kann ich Harari als Christ darauf antworten? Für mich beweist kein Moralkatalog, keine Gesetzestafel, kein Katechismus, ob es Gott gibt. Auch die noch so engagierte oder heiligmäßige Lebensweise eines Christen oder einer Christin ist kein Beweis für die Existenz Gottes. Sie kann aber ein Hinweis sein auf eine andere Dimension im Leben dieses Menschen. Auch würde ich nicht den Anspruch erheben, eine überzeugendere Lebenspraxis zu leben als säkulare Menschen. Die Bewertung meiner Lebensweise überlasse ich den Mitmenschen. In den ethischen und philosophischen Fragestellungen zählt für mich die Kraft des Arguments.

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Trotzdem möchte ich für einen Horizont Gottes in unseren privaten und öffentlichen Leben werben.

Ohne den Horizont Gottes – ohne ein Fenster für Gott – leben wir in einem geschlossenen Raum. Die Erde als Raum ohne Öffnung. Wir ersticken an unserer selbst produzierten „dicken Luft“. Ein Leben mit geöffneten Fenstern rechnet immer noch damit, dass noch etwas Neues und Unerwartetes kommt. Nicht der geschlossene Raum, sondern ein Raum mit offenem Fenster oder geöffneter Tür ist für mich der Ort, wo wir Menschen mit unseren Fragen und Zweifeln leben können. Die einen sprechen durch die geöffneten Fenster und Türen jemanden (eben Gott ) an, die anderen geben sich mit sich und einem Leben im Raum zufrieden. Von der himmlisch-frischen Luft leben alle Bewohner.

Ein Kommentar zu “Raum mit offenem Fenster

  1. Eine sehr gute Erklärung. Dieser Ansicht kann ich nur zustimmen.
    Es befreit doch sehr einen Haltepunkt außerhalb des eigenen Egos zu haben, hinter dem Fenster, wundervolle Gleichung.
    LG
    Barbara Schneider

Schreibe einen Kommentar zu Barbara Schneider Antworten abbrechen

Die von Ihnen verfassten Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern erst nach Prüfung durch das Bistum Osnabrück. Erforderliche Felder sind mit einem * markiert. Bitte beachten Sie unsere Datenschutzerklärung