Schrei nach Gerechtigkeit

Mann schreit zum Himmel
Bild: canva.com

Du aber sollst vor dem Herrn, deinem Gott, folgendes Bekenntnis ablegen: Mein Vater war ein heimatloser Aramäer. Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort
zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk. Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf. Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis. Der Herr führte uns mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, unter großem Schrecken, unter Zeichen und Wundern aus Ägypten, er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, wo Milch und Honig fließen.

Deuteronomium 26, 5-9

„Wir schrien zum Herrn.“ Auch ich möchte schreien – mit Blick auf unser Weltgeschehen. Auch ich möchte zu Gott schreien – wenn auch aus einer (noch?) nicht so ausweglosen Situation wie damals das Volk Israel auf der Flucht. Dennoch mache ich mir Sorgen und leide mit der Welt.
Auf der Welt geht es – so scheint es zumindest – immer mehr um Macht als um Menschlichkeit,
immer mehr um Deals als um Klimagerechtigkeit,
immer mehr um gefühlte Wahrheiten als um Fakten,
immer mehr um Ausgrenzung als um Würde,
immer mehr um Nationalismen als um Solidarität.
Und diese abstrakten Schlagworte verharmlosen schon fast die konkreten Bedrohungen, die sich dahinter verbergen.

Wie sehr hoffe ich auf eine so konkrete Gotteserfahrung, wie sie das kleine Nomadenvolk Israel gemacht hat. Er sah ihre Rechtlosigkeit, führte sie mit starker Hand in die Freiheit und schenkte ihnen das gelobte Land.

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Aber ist das nicht naiv?!
Ist es nicht naiv auf einen Gott zu hoffen, auf den sich auch die Trumpisten berufen, weil sie in Trump ein Zeichen Gottes erkennen?
Ist es nicht naiv seine Hoffnung auf ein Buch zu bauen, dass für andere die Begründung für Ausgrenzung und Gewalt ist?
Ist das nicht naiv darauf zu hoffen, dass am Ende alles gut wird?

Ich kann diese Fragen nicht beantworten. Aber ich will hoffen und die Welt nicht der Hoffnungslosigkeit überlassen. Meine Hoffnung ist der Widerstand gegen all die Totalitarismen diese Welt, ist Widerstand gegen Zynismus und Resignation. Solange ich hoffe, kann ich so tun, als gäbe es einen guten Ausgang. Solange ich hoffe, kann ich so handeln, als sei es noch nicht zu spät. Ich weiß nicht, ob es so kommt, aber ich vertraue darauf, dass es sinnvoll ist, was all die Weltverbesser*innen tun.

Die Rettungsgeschichte des Volkes Israel aus dem ersten Testament macht mir dabei Mut. So schreie ich zu Gott – wie damals die Israeliten auf der Flucht. Denn: Solange ich schreie, hoffe ich.

Bernd Overhoff