Sich selbst hinterfragen
Ich weiß nicht, wie es Ihnen, wie es dir momentan mit den vielen Themen geht, die da so Land auf, Land ab behandelt werden. Sehr schnell wird für die kleinen wie für die großen Probleme nach Verantwortlichen gesucht – nicht selten sind es dann „die anderen“, die Schuld sind …
Die Lösung ist damit noch nicht gegeben. Sicherlich ist eine Problemlage oft komplex und vielschichtig, doch nur die anderen für die Schwierigkeiten verantwortlich zu machen, ohne sich selbst kritisch zu hinterfragen, ist oft auch zu einfach; ja: Eine solche Position schließt sogar die Möglichkeit aus, sich gemeinsam ernsthaft weiter mit bestimmten Fragen zu beschäftigen.
Das es auch ganz anders geht, lässt sich im Leben von Dom Hélder Câmara ablesen, mit dem ich mich kürzlich einmal wieder beschäftigt habe: Er wurde 1909 im Nordosten von Brasilien geboren und verstarb 1999 in Recife in Brasilien als Erzbischof. Dom Hélder Câmara hat in seinen neunzig Lebensjahren die Kirche Brasiliens, Lateinamerikas und der ganzen Welt mitgeprägt.
Über den Autor
Johannes Wübbe ist Weihbischof in unserem Bistum. Auf wen er in seinem Alltag trifft und was ihn bewegt – wir werden das in seinen Blogbeiträgen verfolgen.
Die Begegnung mit einem französischen Kardinal am Rande eines weltweiten Kongresses 1955 hatte den jungen Priester grundlegend bekehrt. Der Kardinal hatte ihn gefragt: „Wie kann es angehen, dass wir alle in der Heiligen Messe Christus in unserer Mitte verehren und den Christus übersehen, der buchstäblich am Rande lebt, in den Armen in den Slums von Rio de Janeiro?“ Dom Hélder war tief berührt und veränderte sein Leben. Fortan stellte er seine Arbeitskraft, sein Organisationstalent und sein Charisma in den Dienst der Armen.
Die Kraft zum sozialen Engagement lag für Dom Hélder im Glauben, der ihn immer aufmerksamer werden ließ für die Bedürfnisse der Menschen. In täglichen Nachtwachen schrieb er seine Gedanken nieder. Einmal notierte er: „Eines Tages wird für jeden von uns die Sonne zum letzten Mal aufgehen. Schwester Licht, wäre es wohl möglich, mich zu warnen, wenn mein letzter Tag anbricht? Aber am besten ist noch immer … jeden Tag so zu leben, als sei es der letzte oder, besser noch, als sei es immer der erste.“
Nicht immer sind die anderen das Problem …