Spieglein, Spieglein …

Mädchen vor dem Spiegel
Bild: iStockphoto.com, Choreograph

„Schwestern und Brüder!
Bleibt niemand etwas schuldig;
nur die Liebe schuldet ihr einander immer.
Wer den andern liebt,
hat das Gesetz erfüllt.
Denn die Gebote:
Du sollst nicht die Ehe brechen,
du sollst nicht töten,
du sollst nicht stehlen,
du sollst nicht begehren!,
und alle anderen Gebote
sind in dem einen Satz zusammengefasst:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses.
Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“

Römer 13,8-10

 

„Wann waren Sie das letzte Mal richtig glücklich?“, fragt der Reporter den attraktiven Schauspieler im Interview einer großen Wochenzeitung. Die Antwort: „Heute morgen – beim Blick in den Spiegel!“ Klasse! Was hier als humorvoller Narzissmus eines selbst verliebten Gockels begegnet, was Salvador Dali in den unsterblichen Satz kleidete: „Jeden Morgen, wenn ich erwache, erlebe ich die allergrößte Freude: nämlich die, Salvador Dali zu sein!“ – all dieses exzentrische Gehabe hat einen positiven Kern: Es ist gut, wenn man sich selbst mag. Denn wer sich selbst nicht ausstehen kann, wird bekanntlich auch Anderen bald zur Qual. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“, stimmt Paulus zu.

Den Nächsten lieben wie sich selbst – dabei geht es dennoch nicht um Aussehen, Popularität und Macht. Es geht um das, was einen selbst im tiefsten Inneren ausmacht, um den Selbstwert und um den achtungsvollen Umgang mit sich selbst und Anderen. „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“, sagt Jesus (Matthäus 7,12). Ein zeitloser Sozialvertrag des menschlichen Miteinanders, der uns im Umgang mit dem Nächsten leiten soll.

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Psychologen beschreiben „Spiegelung“ am Beispiel der Beziehung von Mutter und Kind. Gemeint ist der Blick der Mutter als einfühlsame Antwort auf die kindliche Mimik und Gestik. Bekannt geworden ist der Ausdruck vom „Glanz im Auge der Mutter“. Das Kind, der Säugling, erfährt darin auf positive Weise die Bestätigung seiner eigenen Gefühle und Äußerungen, entwickelt Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein.

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ Das hat mit einem selbstverliebten Gockel ebenso wenig zu tun wie mit einem Altruismus, der sich in der Sorge für den Anderen verliert. Es erinnert vielmehr daran, dass einem im eigenen Bild immer auch der Andere begegnet – mit seinen Freuden, seinen Sorgen und seinen Nöten. So betrachtet ist der liebevolle Blick in den Spiegel – und der sei Jedem und Jeder gegönnt – zugleich ein Augenblick der Begegnung, Anerkennung und Wertschätzung des Nächsten. Nie war er wertvoller als heute …

Gerrit Schulte, Diakon