Beim Sterben helfen, nicht zum Sterben verhelfen

Senioren sitzen auf einer Bank im Park
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Das Thema Sterbehilfe bewegt viele Menschen, denn schließlich geht es um Leben und Tod. Seit vielen Jahren wird darüber gestritten, ob man in Deutschland Sterbewillige bei der Erfüllung ihres Wunsches unterstützen sollte oder nicht. Dieser Streit berührt auch die grundlegende Frage, wie wir als Menschen, als Gesellschaft, miteinander leben wollen.

Die Diskussion um das Thema Sterbehilfe ist eine sehr vielschichtige. Rein rechtlich gesehen hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gekippt und damit den Weg für Suizide mit Beihilfe durch Ärzte oder so genannte Sterbehilfeorganisationen freigemacht. „Geschäftsmäßig“ bedeutet in diesem Zusammenhang regelhaft, auf Wiederholung angelegt – die einmalige Unterstützung etwa beim Suizid einer oder eines engen Angehörigen war schon immer rechtlich erlaubt, solange diese Person sich aus freien Stücken zu der Tat entschließt.

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Martin Splett

Martin Splett
Referent für Hospizarbeit und Trauerseelsorge
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Laut Urteilsbegründung hat nun jeder freiverantwortlich handelnde Mensch in jedweder Lebens- und Leidenssituation das Recht auf einen selbstbestimmten Tod; und er darf dafür auch die freiwillige Unterstützung Dritter suchen und in Anspruch nehmen. Näheres ist derzeit nicht gesetzlich geregelt.

Doch bleibt unter anderem das große Problem, verlässlich festzustellen, ob ein Sterbewunsch auch wirklich selbst bestimmt ist oder nicht doch eher durch äußere oder innere Umstände. Zwei Gesetzesvorschläge haben im Juli 2023 keine Mehrheit im Bundestag gefunden. „Eine rechtliche Regelung muss beides beachten: das Recht auf selbst bestimmtes Sterben und den Schutz des Lebens. Der Lebensschutz bleibt eine staatliche und gesellschaftliche Aufgabe, für die sich auch traditionell insbesondere die Kirchen stark machen“, erklärt Marin Splett, Referent für Hospizarbeit und Trauerseelsorge sowie Mitglied in der AG Bioethik im Bistum Osnabrück.

Zuwendung, Schutz und Trost bis zuletzt

Solange es kein gesetzlich geregeltes Verfahren gibt, können Sterbehilfe-Organisationen relativ unkontrolliert tätig werden und das geschieht auch. In Deutschland gab es in 2023 bereits mehrere hundert Fälle von assistiertem Suizid. Ein Blick in die Schweiz, wo Suizidbeihilfe schon seit Längerem möglich ist und zunehmend in Anspruch genommen wird, lässt starke Anstiege für die kommenden Jahre erahnen: In der Schweiz gibt es bei deutlich weniger Einwohnern weit über tausend assistierte Suizide pro Jahr, ohne dass die Zahl der anderen Suizide – um die 1000 – abnehmen. „Mir machen Erfahrungen aus Ländern mit entsprechender Praxis Sorgen: Dort wird der unnatürliche Tod immer normaler und das verändert die Kultur auf bedrohliche Weise“, gibt Martin Splett zu bedenken.

Darum setzen sich die Kirchen für eine rechtliche Regelung ein, die insbesondere notleidende und ambivalente Menschen vor einem äußeren oder inneren Druck schützt. „Viele Menschen mit Sterbewunsch wollen so nicht mehr leben, aber vielleicht anders. Der Ausweg aus der Not durch den Weg aus dem Leben kann nicht mehr korrigiert, rückgängig gemacht werden. Leidende und Verzweifelte brauchen unsere Sorge, nicht gleich ein tödliches Mittel“, sagt Martin Splett.

Person hält Hand eines älteren Menschen

Wie die Hospizbewegung sprechen die Kirchen lieber von „Sterbebegleitung“ als von Sterbehilfe; sie wollen keine Hilfe zum Sterben, sondern eine Hilfe beim Sterben. Gemeint ist damit, Sterbenden umfassend beizustehen, fachlich durch kompetente palliative Versorgung, aber eben auch durch menschliche Zuwendung, sei es durch Menschen aus dem familiären oder privaten Umfeld, sei es durch Hospizhelfende oder Seelsorgende. „Gerade in seinem letzten Lebensabschnitt braucht der Mensch Zuwendung, Schutz und Trost“, sagt Martin Splett.

Christlicher Einsatz für ein würdevolles Leben und Sterben

Dass der Mensch sich bis zuletzt als Mensch fühlen, dass er Menschlichkeit erleben und in Würde sterben darf, dafür setzt sich die Kirche ein, gemeinsam mit vielen anderen gesellschaftlichen Akteuren, die etwa an der Charta für Schwerstkranke und Sterbende in Deutschland mitgewirkt haben.

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Für Christen liegt die Würde eines jeden Menschen darin begründet, dass er zu jeder Zeit von Gott gewollt und geliebt ist. „Wer die Würde eines Mitmenschen achtet, versucht ihm zu vermitteln: Es ist gut, dass es dich gibt! Und das gerade dann, wenn er meint, nur noch eine Last für andere zu sein“, meint Martin Splett. „Meine Würde hängt nicht davon ab, was ich kann oder leiste. Man darf niemanden bevormunden, es braucht Respekt vor der Selbstbestimmung anderer. Zugleich finden auch selbst bestimmte Entscheidungen nie losgelöst von Bezügen und Beziehungen zu anderen statt. Wir sollten Menschen angesichts gefühlter Ausweglosigkeit Perspektiven anbieten und ihnen das Gefühl vermitteln, mit ihrer Not nicht allein zu sein.“

Raum für Lebensfragen geben

Darum setzen sich die Kirchen einerseits für eine gute Hospiz- und Palliativversorgung ein, und wollen zugleich den zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

Denn hinter dem Thema Sterbehilfe stehen weitere grundlegende Fragen: Wie gehen wir mit unserer Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit um? Woran machen wir den Wert unseres Lebens fest? Was ist, wenn unsere Leistungsfähigkeit sinkt und die Abhängigkeit von anderen steigt? Wie gehen wir mit Einsamkeit um und mit Schmerzen? Martin Splett antwortet als Seelsorger: „Fragen rund ums Sterben sind auch Fragen über das Leben. Als Christ kann ich sie durch die Brille meiner christlichen Hoffnung auf Gott betrachten. Diese Hoffnung geht über den Tod hinaus und hat doch Bedeutung für mein Leben hier und jetzt, bis zum Tod.“

Und was bedeutet das für ihn im Hinblick auf die Begleitung von Sterbenden oder von Sterbewilligen? „In individuellen Leidsituationen Zurückhaltung mit moralischen Urteilen von außen, dafür Respekt vor der Freiheit und Eigenverantwortung des anderen. Zugleich möchte ich in der Begleitung lieber Raum für Lebensfragen geben und gemeinsam nach Antworten suchen, statt Wege zur Selbsttötung zu bahnen.“