Suizid ist männlich

Person von hinten an einem See
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Etwa eine Million Menschen bringen sich jedes Jahr weltweit um – in Deutschland sind es etwa 10.000. Auffällig ist: In allen Ländern der Erde ist Suizid eine männliche Todesursache. Mancherorts ist die Zahl der Männer, die durch Selbsttötung sterben, sogar fünf Mal höher, als die der Frauen. Deutschland liegt im Durchschnitt: Etwa 75 bis 80 Prozent der Suizide werden hierzulande von Männern begangen.

Das ist besonders deswegen überraschend, weil Frauen statistisch gesehen viel häufiger einen Suizidversuch unternehmen als Männer. Auch wird bei doppelt so vielen Frauen wie Männern eine Depression diagnostiziert – eine Krankheit, die häufig Ursache für Suizidversuche ist.

Experten sind sich einig, dass es für dieses Phänomen unterschiedliche Gründe gibt. Letztendlich sind männliche Formen der Selbsttötung oft effektiver, denn Männer handeln häufig entschlossener und ihre Methoden sind gewalttätiger. „Viel wichtiger ist es aber, sich die männlichen Beweggründe für Suizid genauer anzuschauen“, sagt Christoph Hutter, Leiter der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen im Bistum Osnabrück. Er hat zwei wesentliche Ursachen ausgemacht: Zum einen das Beziehungsmanagement von Männern und zum anderen die Unfähigkeit der Männer selbst und auch der Gesellschaft, männliche Probleme zu erkennen. „Hier spielen das Selbstverständnis und die Selbstwahrnehmung der Männer, die Zuschreibungen aus der Gesellschaft und die blinden Flecke der Ärzteschaft fatal ineinander“, warnt Hutter.

Männliche Depression ist anders

Ein Mensch kniet an einem SeeNoch immer gelte in vielen Köpfen: Männer sind das starke Geschlecht. Sie zeigen keine Schwäche und haben keine Probleme – und wenn doch, dann lösen sie sie selbst. Das führe dazu, dass es für viele Männer noch immer schwierig sei, Schwächen einzugestehen und darüber zu reden, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen. Hinzu komme: „Männer mit einer offen gezeigten Traurigkeit werden in unserer Gesellschaft viel weniger wahrgenommen, als Frauen.“

In einem Experiment der „Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit“, in dem Frauen und Männer sich bei verschiedenen Ärztinnen und Ärzten mit Symptomen einer Depression vorstellten, wurden die Symptome bei Männern drei Mal weniger als depressive Verstimmung diagnostiziert, als bei Frauen.

„Das liegt auch daran, dass die Art und Weise, wie Frauen ihre Depressivität zeigen, zur gesellschaftlichen Norm geworden ist“, sagt Hutter. „Männliche Depression zeigt sich aber häufig mit ganz anderen Symptomen: Männer fühlen sich oft nicht krank, sondern eher erschöpft. Sie treiben übermäßig Sport, werden – vor allem zu sich selbst – besonders hart und rigide. Sie sind unbeherrscht und geraten schnell in Auseinandersetzungen, benutzen Medikamente oder Alkohol um sich zu regulieren. Wenn diese Männer nicht wenigstens unter der Überschrift des Burnout-Syndroms als krank erkannt werden, dann werden sie eher als unangenehme Zeitgenossen eingeschätzt, als dass sie die dringend benötigte Hilfe von Psychiater*innen und Therapeut*innen bekommen würden.“

Fatales Beziehungsmanagement

Gerade diese Hilfe sei aber wichtig, um die Probleme der Männer zu klären – und das nicht nur bei einer Depression. Generell falle es vielen Männern schwer, ihre Sorgen und Nöte nicht nur mit sich selbst auszumachen. Das liegt laut Hutter unter anderem auch am Beziehungsmanagement von Männern: „Pauschal gesagt delegieren Männer das Beziehungsmanagement entweder an die Frauen oder an die Arbeit“, erläutert Hutter. Das heißt konkret: „Frauen laden Freundinnen und Freunde ein, organisieren den Kontakt zu den Familien und arrangieren soziale Aktivitäten. Darüber hinaus machen viele Männer im Arbeitskontext ganz wesentliche Erfahrungen von sozialer Einbindung und Gemeinschaft, die für sie sehr wertvoll sind – das sind allerdings keine Freundschaften, sondern Beziehungen, die aus der gemeinsamen Ausrichtung auf ein Projekt oder einen Arbeitgeber heraus entstehen.“

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Vereinfacht könnte man sagen: Wenn Männer das Management ihrer sozialen Beziehungen auslagern, dann haben sie keinen Ansprechpartner*innen, wenn sie wirklich mal einen brauchen. Bricht dann noch einer der beiden Bereiche Partnerschaft oder Arbeit weg – durch den Tod der Partnerin oder Trennung, durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder den Rentenbeginn – fehlt den Männern der Ort, an dem Beziehung passiert und an dem sie über Probleme reden können. Folgen können dann Vereinsamung, Hoffnungslosigkeit, ein Gefühl von Nutzlosigkeit und Leere und eine Verengung des Blickes auf die eigenen Probleme. Der vermeintlich letzten Ausweg: das als nicht lebenswert empfundene Leben zu beenden.

Besser hinzuschauen, Probleme differenziert einzuschätzen und anzusprechen – das wünscht sich Hutter. Sowohl von der Gesellschaft, als auch von den Männern selbst. Damit zukünftig weniger Männer einen Suizid für den letzten Ausweg halten.