Über Bäume reden

Über Bäume reden
Bild: pixabay.com, Joe

Irgendwie geht mir in den letzten Wochen und Monaten ein Ausspruch von Bertolt Brecht nicht aus dem Kopf: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

Die Zeilen sind aus seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“ – und er weiß, wovon er schreibt. Dieses Gedicht ist in den Jahren 1934-38 entstanden, als Hitler und die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen. Bertolt Brecht selbst lebte zu dieser Zeit im Exil in Dänemark, seine Bücher waren verbrannt worden.

Über Bäume spricht im Moment keiner. Wir sprechen über den Zwischenbericht zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück, über die Inflation und steigende Preise, Möglichkeiten, Strom zu sparen, den Krieg in der Ukraine, Corona, den synodalen Weg, die Klimakrise – und darüber, dass wir schon wieder kein Sonnenblumenöl im Supermarkt bekommen haben … von den persönlichen kleinen und großen Krisen ganz zu schweigen.

Und diese Gespräche lassen mich oft ohnmächtig, verärgert, ratlos zurück. Ja, ich kann Müll trennen, mich gegen Corona impfen lassen, für die Ukraine beten und Geld spenden, andere Strukturen in der Kirche einfordern, regional einkaufen –  und doch sind meine Möglichkeiten begrenzt. Da ist die Gefahr groß, dass ich mich lähmen lasse, resigniere, mutlos werde.

Wenn wir für unser Leben einmal das Bild einer alten Waage mit zwei Waagschalen nehmen, dann liegt in der dunklen Waagschale im Moment viel drin. Und da etwas heraus zu nehmen, das ist oft nicht einfach. Wir leben in schwierigen Zeiten.

Über die Autorin

Andrea Schwarz ist Schriftstellerin, war lange Jahre pastorale Mitarbeiterin im Bistum Osnabrück und lebt im Emsland. Sie ist eine genaue und sensible Beobachterin ihrer Umwelt und der Menschen, denen sie begegnet. In ihren Texten versucht sie, Gott mitten im Alltag zu entdecken und Lust aufs Leben zu machen – nun erstmals auch in Form von Blogbeiträgen!

Aber wenn das Ziel heißt, die Waage etwas mehr in die Balance zu bringen, dann lohnt sich vielleicht ein Perspektivwechsel: Was könnten wir denn eventuell in die helle Lebensschale hineintun, um etwas gegen all das Dunkle zu setzen? Azim und Shogowa, die beiden jungen Flüchtlinge aus Afghanistan, haben endlich eine schöne Wohnung gefunden, auch wenn noch nicht viel drin steht – und sie erwarten ein Baby. 4000 Kinder und Jugendliche hatten einen tollen Tag bei der Ministrantenwallfahrt in Osnabrück. Die alten Wandmalereien in der Kirche St. Georg auf der Insel Reichenau faszinieren und lassen staunen. Späte Schmetterlinge flattern im Garten umher. Ein entsprechender Blick auf die schönen und guten Dinge lohnt sich.

Das kann, wird und soll all das Dunkle in unserem Leben nicht wegnehmen. Aber es kann etwas dagegen setzen, um neu Kraft zu bekommen, mit den Problemen und Schwierigkeiten umzugehen. Und sich dann auch wieder besser engagieren zu können.

Deshalb: Man darf und sollte in diesen Zeiten auch über Bäume sprechen.

Gerade in diesen Zeiten.

Ach übrigens: Unser Kirschbaum ist in diesem Jahr trotz der Trockenheit kräftig gewachsen. Bald können wir die Kirschen direkt vom 1. Stock aus pflücken.

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