Das Vaterunser – eine Verbindung zu Gott

Leuchtturn
Bild: unsplash.con, Joshua Hibbert

Es ist das bekannteste Gebet des Christentums und aus keinem Gottesdienst wegzudenken. Aber auch im Alltag hat das Vaterunser bei vielen Menschen einen festen Platz. Was das Gebet so besonders macht, wie man es immer wieder neu entdecken kann und worauf man beim Beten achten sollte, das erzählt Marc Weber, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Raphael in Bremen, hier im Interview.

Erst einmal ganz grundsätzlich: Warum lohnt es sich, zu beten?

Beten ist gut, weil es so etwas ist, wie das Atmen der Seele. Und weil wir uns damit um einen Bereich in unserem Leben kümmern, den wir ganz oft vergessen. Ich glaube, dass wir darauf hin geschaffen sind, in Beziehung mit Gott zu treten und wenn wir diese Stelle leer lassen und diese Verbindung nicht pflegen, dann verkümmert etwas in uns.

Das bekannteste Gebet des Christentums ist das Vaterunser – warum?

Also zuerst mal ist es das einzige Gebet, das Jesus seine Jünger direkt gelehrt hat. Er hat gesagt: Wenn ihr beten wollt, dann betet so. Und darüber hinaus ist es auch so wichtig geworden, weil es alle Christen miteinander verbindet, trotz aller Glaubensdifferenzen, die es zwischen den Konfessionen gibt. Also wenn man ein Gebet der Einheit sucht, dann ist es das Vaterunser, weil sich alle darauf verständigen können und es total in die Mitte unseres Glaubens führt.

Pfarrer Marc Weber
Pfarrer Marc Weber

Stammt dieses Gebet denn wirklich von Jesus?

Papst Benedikt hat es in seinem Jesusbuch einmal so zusammengefasst: Alles, was Jesus sagt, steht auf dem Grund des jüdischen Glaubens. Alles, auch das Vaterunser. Das Neue daran ist, dass Jesus Gott in diesem Gebet so vertraulich „Vater“ nennt und dass er uns einlädt, ihn auch so anzusprechen. Er ermutigt uns: So wie die vertraute Beziehung zwischen Vater und Sohn, so soll auch unsere Beziehung zu Gott sein. Das hat es vorher nicht gegeben!

Welche Rolle spielt das Vaterunser in Ihrem Leben? Wann beten Sie es?

Das Vaterunser geht ja eigentlich immer, bei allen Gelegenheiten, ich kenne es sogar als Tischgebet!

Für mich hat es erstmal eine besondere Bedeutung in meiner Rolle als Priester: weil ich so viele Leute anleiten darf, das zu beten, was ich total schön finde. Wir haben zum Beispiel eine Gemeinde, in der 90 Nationalitäten vertreten sind, Menschen mit sehr unterschiedlichen sprachlichen Hintergründen, die auch kulturell ganz unterschiedliche geprägt sind. Aber wenn wir dieses Gebet sprechen, dann entsteht eine tiefe Einheit.

Und natürlich bete ich es auch persönlich, im Stundengebet. Wenn ich da beim Vaterunser angekommen bin, ist das erstens das Zeichen, dass das Gebet bald vorbei ist und zweitens ist es auch eine Versicherung, ein Rahmen, etwas Beständiges – also mir würde etwas fehlen, wenn ich es nicht regelmäßig beten würde, weil mir das so in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Vielen können das Vaterunser ja quasi „im Schlaf beten“ – wie schafft man es, dieses wichtige Gebet wieder bewusst zu sprechen?

Also dieses Runterbeten des Vaterunsers kenne ich auch. In der Jugendpastoral habe ich früher öfter so ein Spiel gemacht, bei dem Gott auf dem Off antwortet, also man betet „Vater unser im Himmel …“, und jemand antwortet dann: „Ja, hallo, was möchtest du?“. Und so wird dann ein Gespräch daraus, das wieder etwas bewusster macht, dass man mit Gott spricht beim Beten.

Das Vaterunser in der Bibel

An zwei Stellen in der Bibel wird das Vaterunser vorgestellt: Im Matthäus-Evangelium in der Bergpredigt und im Lukas-Evangelium in der so genannten Feldrede. In beiden Fällen geht es um die erste große Predigt, die Jesus hält und in der zentrale Punkte seiner Lehre verkündet werden.

Ich finde es wichtig, in der persönlichen Beziehung zu Gott zu bleiben und die einzelnen Dinge, die mich bewegen, im Gebet zu betrachten. Es gibt ja die Tradition der Schriftbetrachtung – also dass man die Worte, die Gott gesprochen hat, genauer anschaut, länger durchdenkt, durchbetet, dabei verweilt – und ich glaube, dass es schlau ist, das immer wieder mal mit dem Vaterunser zu machen. Das sind ja auch Worte aus der Bibel!

Die französische Ordensfrau Therese von Lisieux hat gesagt, dass in diesem Gebet alles enthalten ist, was unseren Glauben ausmacht und dass sie kein anderes Gebet in ihrem Leben gebraucht hätte, wenn sie das früher erkannt hätte. Diese tiefe Erkenntnis hatte ich zwar noch nicht, aber ich ahne, was sie meint: Das Vaterunser ist an der Oberfläche sehr einfach zu verstehen, aber je tiefer man einsteigt, desto mehr Dimensionen erschließen sich. Man erkennt, was da alles drinsteckt – an Menschenbild, an Gottesbild, an Zukunft!

Kann das Formelhafte also auch hilfreich sein?

Absolut. Wenn einem zum Beispiel die Worte fehlen. Das erlebe ich auch, wenn ich in der Notfallseelsorge unterwegs bin, wo Menschen nahe Angehörige plötzlich verlieren. Da bin ich manchmal auch außerstande, etwas zu formulieren, das diesen ganzen Schmerz einfängt und dann frage ich: „Sollen wir das Vaterunser beten?“, und manchmal hilft das dann.

Da kommt dann auch wieder zum Tragen: Das ist das Gebet der ganzen Kirche, da ist immer eine größere Gemeinschaft, die dich trägt, wenn du es betest.

Gibt es eine Stelle, die Ihnen besonders am Herzen liegt? Oder eine, die Ihnen besonderes Kopfzerbrechen bereitet?

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Das wandelt sich immer mal wieder … Im Moment ist es vor allem die Zeile „dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“. Dahinter steht ja die Idee, dass Gott einen Willen hat, einen Plan, dass er etwas möchte mit uns und der Welt, mit meinem persönlichen Leben. Da hänge ich oft dran: Was bedeutet das jetzt genau? Was bedeutet das für mich? Wenn ich zum Beispiel überlege: Wie erreiche ich Menschen, wie kann ich sie für den Glauben begeistern? Dass ich dann merke: Es gibt nicht den einen Schlüssel, mit dem man die Herzen der Menschen öffnen kann. Je mehr ich Gott die Dinge tun lasse, seinen Willen geschehen lasse, umso mehr werde ich von ihm überrascht. Und das in einem befreienden und entastenden Sinne, weil es nicht immer und nicht nur an mir hängt, sondern an Gott, der mein Partner sein möchte oder eben ein Vater, der sich sorgt und meine Probleme kennt.

Das ist übrigens durchaus auch eine Herausforderung ist für viele, Gott als Vater anzusprechen …

Inwiefern?

Naja, man kann sich fragen: Warum macht die Bibel das, Gott als Vater zu titulieren. Es gibt ja auch wichtige mütterliche Komponenten von Gott, aber hier wird ganz stark die väterliche betont. Welche Bedeutung hat diese Vater-Sohn-Beziehung? Was ist das für eine Wahrheit, die uns da mitgeteilt werden soll? Viele sehen das schnell in einer geschlechtlichen Relation, aber da steckt mehr dahinter, in der Form, wie sich Gott uns offenbart, zeigt sich, was er für uns sein möchte.

Gibt es noch andere Gebete, die Sie empfehlen können?

Wenn Menschen mich nach Gebeten fragen, empfehle ich immer zwei Elemente: einmal Gebete, die klar sind, also Grundgebete, die auch in Zeiten tragen, wo man nicht weiß, was man sagen soll, wie man anfangen soll. Das ist für mich vor allem der Rosenkranz, weil damit Beten sehr stark ritualisiert ist und man nicht lange überlegen muss. Und das andere Element, das auch wirklich wichtig ist, ist das freie Beten, also mit eigenen Worten mit Gott zu sprechen. Dass ich mir vorstelle, er sitzt mir gegenüber und dann erzähle ich einfach oder frage ihn auch: Was meinst du dazu? Wie siehst du gerade auf mich? Und dann auch hinzuhören: Was kommt da zurück?

Aber der wichtigste Rat fürs Beten: Tu es! Es gibt keine Weise, wie es richtig und falsch ist, sondern es gilt: einfach machen!