Wenn das Hochwasser vor der Tür steht …
Das Pfarrhaus, in dem Sr. Ulrike und ich hier in Steinbild wohnen, steht relativ nah an der Ems – so nah, dass ich damals, als ich es mir anschaute, sofort fragte: „Und wie oft ist hier Hochwasser?“ Als die Antwort lautete: „Das letzte Mal ist wohl elf oder zwölf Jahre her“, dachte ich: Na gut, der Schnitt ist okay. Und wir hatten ja auch seitdem weitere dreizehn Jahre „Ruhe“. Aber jetzt hat es uns erwischt.
Wir wollten die Weihnachtsfeiertage im Kloster bei Ulrikes Mitschwestern verbringen und waren doch ein wenig unruhig, als wir losfuhren – die Ems stand ganz schön hoch! Auf der Heimfahrt sammelten wir dann noch Besuch ein, der bei uns die Zeit zwischen den Jahren verbringen wollte – und als wir hier ankamen, war mein erster Gang in den Keller. Okay, das Wasser stand nicht zehn Zentimeter hoch, wie ich insgeheim befürchtet hatte, auch die Ems war brav vor der Tür geblieben, aber auf dem Boden waren große Pfützen: Das Grundwasser drückte durch Boden und Wände herein. Unsere Besucherin schnappte sich den uralten Nasssauger, und das würde auch für die nächsten Tage ihr Job bleiben. Der Rasenmäher wurde im Erdgeschoß in den Flur gestellt, und alles, was nicht nass werden sollte, ein Regalbrett höher. Am nächsten Tag fuhr ich los, um für alle Fälle unsere Vorräte aufzustocken, und kam an endlosen Wasserflächen vorbei – Wiesen und Felder: alles überschwemmt.
Der Blick aus dem Fenster in meinem Arbeitszimmer war faszinierend und beängstigend zugleich, die Ems war kein Fluss mehr, sondern hatte sich zu einem Strom entwickelt, der mehrere hundert Meter breit und mit hoher Geschwindigkeit dahin floss. Ganze Baumstämme schwammen vorbei und große Rundballen mit Stroh oder Heu. Etwas bang verfolgten wir die Entwicklung der Pegelstände von Hase und Ems – das Wasser stieg und stieg. Wie heftig würde es noch werden? Unsere Besucherin saugte treu vier- bis fünfmal am Tag das Wasser im Keller auf, beim Nachbarn gegenüber wurden Sandsäcke angeliefert, Post und Müllabfuhr kamen nicht, die Wohnwagen auf beiden Seiten der Ems wurden geräumt. Was nimmt man eigentlich mit, wenn man evakuiert wird? Sollen wir irgendwie die Autos wegfahren? Reichen die Lebensmittel? Hält dieser alte Nasssauger durch? Und dann waren wir tatsächlich abgeschnitten – alle Zufahrtstraßen nach Steinbild waren dicht. Wir waren zur Insel geworden.
Durch den großen Einsatz der Feuerwehren konnte eine Zufahrtsstraße schließlich wieder befahrbar gemacht werden. Als ich am nächsten Tag nach Dörpen fuhr, kam ich mir vor wie auf dem Hindenburgdamm nach Sylt bei Sturmflut: ein bisschen Straße, links und rechts Sandsäcke, ansonsten nur Wasser, wohin das Auge schaute.
Es bestand für uns keine akute Gefahr für Leib und Leben, aber ich empfand die Situation trotzdem als psychisch belastend. Mir war irgendwie mulmig zumute, ich schlief unruhig, fühlte mich ohnmächtig und ausgeliefert, erschrak, wenn ich irgendwelche komischen Geräusche von unten hörte, die sich dann als das „Gurgeln“ der Spülmaschine herausstellten, konnte mich schlecht auf irgendwelche Schreibtischarbeiten konzentrieren. Und das hat mich, ehrlich gesagt, eigentlich am meisten überrascht, was solch eine Situation mit mir macht, damit hatte ich nicht gerechnet. Und wenn ich heute auf diese Tage zurückschaue, dann glaube ich, war es vor allem die neue und für mich so unbekannte Situation, die mich verunsichert hat. Die Nachbarn, mit denen ich in dieser Zeit gesprochen habe, gingen sehr viel gelassener damit um; für sie war ein solches Hochwasser zwar auch nicht alltäglich, aber sie hatten Erfahrungen damit.
Über die Autorin
Andrea Schwarz ist Schriftstellerin, war lange Jahre pastorale Mitarbeiterin im Bistum Osnabrück und lebt im Emsland. Sie ist eine genaue und sensible Beobachterin ihrer Umwelt und der Menschen, denen sie begegnet. In ihren Texten versucht sie, Gott mitten im Alltag zu entdecken und Lust aufs Leben zu machen – nun erstmals auch in Form von Blogbeiträgen!
Die haben wir jetzt auch. Wir wissen, ab welchem Pegelstand der Ems mit Grundwasser im Keller zu rechnen ist, dass der Fluß noch gut einen halben Meter höher steigen kann, ohne ins Erdgeschoß reinzulaufen, dass wir die Autos nicht woanders parken müssen und welche Zufahrtsstraße am ehesten wieder befahrbar gemacht werden kann. Das Haus hält im Großen und Ganzen, und im Keller wissen wir jetzt um die Schwachstellen und können die Regale entsprechend anders stellen. Und außerdem gibt es inzwischen einen zweiten neuen Nasssauger, für alle Fälle eine Pumpe und ein Trocknungsgerät. Unterm Strich sind wir im Gegensatz zu vielen anderen glimpflich davon gekommen, Nachbarn hatten ganz andere Wassermengen im Keller.
Jetzt kennen wir uns ein bisschen mit Hochwasser aus. Wenn die Ems sich an den bisherigen Schnitt von 25 Jahren hält, dann ist es eh fraglich, ob wir das noch einmal hier erleben werden – aber man kann ja nie wissen.
Ach so – drei positive Erfahrungen noch aus der Zeit: Im Ort hat man zusammen gehalten und sich gegenseitig geholfen. Diese Solidarität erinnerte an die Pandemie-Zeiten. Der Einsatz der Kollegen und Kolleginnen der Feuerwehr, der technischen Hilfsdienste und vieler weiterer Ehrenamtlicher – super! Und als offiziell wegen des Hochwassers der Silvestergottesdienst in unserer Kirche abgesagt wurde, haben wir kurzentschlossen zu viert hier bei uns im Wohnzimmer Gottesdienst gefeiert. Und das war einfach schön, dicht und hat echt gut getan!