Wer ohne Sünde ist …

Wer ohne Sünde ist …
Bild: pixabay.com, zoosnow

Jesus aber ging zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Mit diesen Worten wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.

Johannes 8,1-11

 

Wer auch immer die Geschichte der Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin in das Johannes-Evangelium aufgenommen hat, sei gelobt und gepriesen! Denn hier begegnet uns nach einhelliger Auffassung ein authentisches Jesus-Wort. Und was für eins! Dennoch berichten die übrigen Evangelien kein Wort davon. Auch in den ersten Handschriften des Johannes Evangeliums fehlt diese Episode. Milde gegenüber Frauen – das war der Nachwelt dann doch zu viel; vor allem gegenüber Frauen, die das patriarchale Gefüge in Kirche und Gesellschaft mit ihren strafbewehrten Normen von Sitte und Moral in Frage stellten.

Ohne Männerherrschaft keine Steinigungen. In allen Zeiten habe patriarchale Gesellschaften vor allem den Ehebruch oder voreheliche sexuelle Beziehungen von Frauen unter drakonische Strafen gestellt – außereheliche Verhältnisse des Mannes wurden dagegen selten sanktioniert. Traurige Nachricht: Auch in unserer Zeit finden Steinigungen nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte statt – zumeist in islamisch geprägten Staaten. Überwiegend wird und wurde diese grausame Strafe in Fällen von Ehebruch angewandt. Allerdings berichtet die Apostelgeschichte auch von der Steinigung des Stephanus (Apostelgeschichte 7,57-60). Er hatte sich in den Augen seiner Widersacher der Gotteslästerung schuldig gemacht. Sein Beispiel macht sichtbar: Steinigungen fanden und finden bis heute oftmals als Lynchjustiz eines aufgebrachten Pöbels statt. Nicht zuletzt deshalb fehlen verlässliche Daten zu diesen grausamen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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Das Streitgespräch Jesu mit den Pharisäern und Schriftgelehrten wird im Johannes Evangelium als Falle dargestellt. Die Schriftgelehrten suchten danach Gründe, Jesus als Gegner der mosaischen Gesetze anzuklagen. Dem widersprechen allerdings die Bibelwissenschaftler*innen Marc Zvi Brettler und Amy-Jill Levine. Die Pharisäer seien schon seit einiger Zeit der Auffassung gewesen, „dass Steinigung nicht die richtige Reaktion auf Ehebruch sei“. Um Jesu Auslegung der Tora zu erfahren, hätten sie ihn also nach seiner Auffassung zu dem archaischen Gebot befragt: „Was sagst du?“

Falle oder Diskussion – der Religionspädagoge Hubertus Halbfas sieht in der Antwort Jesu jedenfalls einen „bewusstseinsgeschichtlichen Meilenstein“ und „einen Lichtblick der Religionsgeschichte“. Jesus sagt: „Der von euch, der ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Jesus macht sich damit nicht zum Richter; er stellt nicht die Schuldfrage; er verurteilt nicht; aber er billigt auch nicht, was der Frau vorgeworfen wird. Den eifernden Männern hält er den Spiegel ihrer eigenen Verstrickungen in Schuld und Sünde vor Augen. Das wirkt! Einer nach dem anderen entfernt sich, die Ältesten zuerst; es sind die mit der längsten Lebensgeschichte, die wissen, wovon Jesus spricht. Die geballten Fäuste öffnen sich, Steine fallen zu Boden. Der Lebensweg der Frau endet nicht im Steinhagel. Für sie öffnet sich ein neuer Weg.

Der Männerwelt war das offenbar zu viel. Bis heute?

Diakon Gerrit Schulte