Widerständig bleiben

Frau macht abwehrende Handbewegung
Bild: AdobeStock.com, Reezky

Ich bin zu Besuch bei meinem Kumpel Jonas, in dessen Kirchengemeinde es noch eine ordentliche Fronleichnamsprozession gibt. Die hat bei uns in der Stadt schon lange nicht mehr stattgefunden. Schon aus kulturellem, beruflichem Interesse und ein bisschen auch aus Nostalgie-Gründen (denn ich war als Jugendliche begeisterte Lektorin bei unseren heimatlichen Prozessionen) schaue ich mir das Ganze mal an.

Wir gehen also zusammen hin. Jonas hat schon mal angedeutet, dass der Pfarrer des Ortes eher zur, na ja, sagen wir, ziemlich doll konservativen Sorte zählt. Auch an diesem Tag fallen einige Sätze, die mich, na ja, sagen wir, ziemlich zum Stirnrunzeln bringen. Als er dann aber verkündet, in welcher Reihenfolge die Prozession stattfinden soll, verliere ich ein bisschen die Fassung: Ganz vorn das Kreuz, dann die Messdiener. Es folgen, Achtung, die Männer (!), dann die Monstranz, die Erstkommunionkinder und abschließend „Frauen und andere Menschen“. Ernsthaft? Ernsthaft. Ruhig noch mal durchlesen. Ernsthaft.

Wir ziehen los. Ich verrate: Alle halten sich an die Prozessionsordnung. Alle. Außer Katie. (So kam ich mir zuletzt vor, als ich vor Jahren mal für den Kirchenboten von der Ruller Männerwallfahrt berichtete …). Ich kann das nicht, das kann ich wirklich nicht. Echt nicht.

Nachdem ich meine erste Fassungslosigkeit überwunden habe und die Prozession beendet ist, höre ich jedenfalls, dass sich mehrere Frauen heimlich beschwert haben und das doch ganz schön unmöglich finden, was hier vorgeschrieben wird. Und dann spreche ich Gaby an. Ich weiß, dass sie sich sehr engagiert in der Gemeinde und auch so ihre Anfragen hat. Sie war Kommunionausteilerin heute und ich frage sie: „Wie könnt ihr hier so ruhig bleiben und das mitmachen? Aber vor allem: Wie kannst du das durchziehen und da oben stehen, wie kannst du da mitmachen?“ Ich muss ehrlich zugeben: Ich wüsste nicht, ob ich das könnte. Ob ich nicht schon längst zu denen gehören würde, die sich abgewandt hätten. Und dann sagt sie – in ihrer Stimme liegt ein gewisser sachlicher Trotz, den sie schon lange eingeübt haben muss: „Ich kann ihm doch nicht das Feld überlassen. Ich kann nicht gehen.“ Sie sagt, sie würde halt ihr Ding machen, bis er weg ist. Das ginge gar nicht anders. Ich bin extrem beeindruckt und das sage ich ihr auch.

Über die Autorin

Katie Westphal ist Pastoralreferentin. Sie schreibt Texte über Lebens- und Alltagsfragen und ist immer auf der Suche nach der richtigen Hintergrundmusik. Außerdem erzählt sie gern davon, wie es ist, Christin und Feministin zu sein: Eine gute Kombination, wie sie findet.

Ich nehme unser Gespräch mit, es macht mich nachdenklich. Was für ein Vorbild sie ist! Mega stark. Ein paar Tage nach meinem Besuch erzählt mir Jonas, Gaby hätte ihn nochmal angesprochen: Ich hätte sie zum Nachdenken gebracht. Sie sagte ihm: Katies Fragen haben mich echt beschäftigt. Dass sie hinterfragt, warum wir das eigentlich so mitmachen. Das sei stark, das wäre mal ganz gut gewesen.

Ich erwidere, dass er Gaby bitte von mir ausrichten solle, dass ich richtig beeindruckt von ihr bin.

Spannend: Es gibt halt verschiedene Formen des Widerstandes – den von innen und den von außen; den lauten demonstrativen und den leisen, der subtil unterhöhlt und sich auf unsichtbare Weise einfach die Macht nimmt. Vielleicht brauchen die sich auch gegenseitig, um sich Kraft fürs Durchhalten zu geben. Beiden jedoch geht es darum, sich eine gewisse Freiheit zu schaffen, um in Bewegung zu bleiben: Entweder, um dem anderen nicht den ganzen Raum zu überlassen, oder, um gegen den Strom zu schwimmen. Weil wir beide wissen, dass unser Glaube mehr kann als Trennung, Ausgrenzung und starre Ordnung: Weil Gott schon mal hat Menschen losziehen lassen in die Freiheit.

Offenbar sind wir noch immer nicht am Ziel – aber es wird hier und da sichtbar. Bleiben wir also auch sichtbar. Widerständig. Bleiben wir.

Ein Kommentar zu “Widerständig bleiben

  1. Vielen lieben Dank für die Ermutigung zur Veränderung von Routinen, die „man“ halt so macht – viel zu oft, ohne den Sinn dieser Handlungsmuster zu reflektieren. Es ist oft so, dass sich Handlungsmuster und Regeln einfach verselbständigen. Da hilft es mir, daran erinnert zu werden, dass „der Sabbath mit seinen Ruheregeln für den Menschen da ist – und nicht umgekehrt“. Und dass wir Sauerteig sein sollen für Kirche und Welt! Sauerteig wirkt aber nur, wenn man ihn mit den übrigen Zutaten vermischt und dem Teig Zeit zum Ruhen und „gehen“ lässt. Manchmal braucht es eine sehr lange Zeit, bis sich Routinen verändern, oft sogar mehrere Generationen. Aber ich kann in meinem Sozialraum an diesen Veränderungsprozessionen mitwirken, wie Ihr Beispiel gezeigt hat. Darum bleibe ich auch!

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