Der Aufstand des Lebens

Der Aufstand des Lebens
Bild: unsplash.com, Dan Mall

In jener Zeit sandten die Schwestern des Lázarus Jesus die Nachricht: Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank. Als Jesus das hörte, sagte er: Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden. Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lázarus. Als er hörte, dass Lázarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt. Danach sagte er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Als Jesus ankam, fand er Lázarus schon vier Tage im Grab liegen. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen. Marta sagte zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben. Jesus sagte zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag. Jesus sagte zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das? Marta sagte zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. Jesus war im Innersten erregt und erschüttert. Er sagte: Wo habt ihr ihn bestattet? Sie sagten zu ihm: Herr, komm und sieh! Da weinte Jesus. Die Juden sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! Einige aber sagten: Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb? Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war. Jesus sagte: Nehmt den Stein weg! Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm: Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag. Jesus sagte zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lázarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt. Jesus sagte zu ihnen: Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen! Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

Johannes 11,1-45

In dem Film „In den Schuhen des Fischers“ büxt der fiktive Papst Kyrill aus der Enge der vatikanischen Ordnung aus und taucht in die Altstadt von Rom ab. In einem heruntergekommenen Haus erlebt er das Sterben eines Mannes. Als er der Familie zum Abschied nochmals sein Mitgefühl ausdrückt, bekommt er zur Antwort: „Es ist nicht der Tod; es ist das Leben, das uns besiegt.“

Auch nach vielen Jahren des Lesens bleibt mir die Geschichte von der Auferweckung des Lazarus merkwürdig fremd. Sie ist sperrig und rätselhaft. Sie wirft mehr Fragen auf, als dass ich Antworten in ihr finde. Mal abgesehen davon, dass hier richtig großes Kino geboten wird, bleibt die Frage nach der Relevanz für mich und meinen Alltag aber offen.

Jesus soll seinen erkrankten Freund retten. Das tut er nicht. Rätselhaft spielen die Verfasser des Textes mit Zahlen und Tagesangaben. Weil die Schwestern des Verstorbenen trauern, wird der Tote erweckt. Jesus wird seiner Gefühle offenkundig auch nicht mehr Herr und ruft nach Lazarus. Der kommt aus der Höhle, teilweise noch in die Binden seines Begräbnisses gehüllt. Gruselig! Da frage ich mich: Was hat das nun mit der Hoffnung auf Auferweckung und Auferstehung zu tun? Sind wir hier bei „High Noon“ oder was?

Vor allem fällt auf, dass zwar alle über Lazarus reden, aber er nicht gefragt wird, auch nicht gefragt werden kann. Vielleicht war für ihn der Tod eine Erlösung. Endlich ausruhen dürfen von der Mühsal des Lebens. Weil die Schwestern so quengeln, ist diese Ruhe nun vorbei! Oder was geschieht hier? Verfolgt das in Teilen auch ungute Leben den Lazarus bis in den Tod hinein? Werde ich dem Leben – meiner Geschichte und meiner Tragik – denn niemals entkommen können?

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Für mich liegt der Schlüssel zu dieser Geschichte im Gebet, das Jesus an seinen Gott, den Abba, richtet. Jesus vertraut darauf, dass sein Abba das gute Leben für wirklich alle Menschen will. Der Abba des Jesus von Nazaret steht gegen die vielen Tode des Alltags – auch die des Lazarus. Der Abba des Jesus von Nazaret sieht die Tode, die Menschen durch Menschen erleiden. Er sieht das zugeschnürte und gefesselte Leben so vieler in der Welt. Dagegen setzt Abba sein unbesiegbares Leben.

Das macht diese Erzählung dann doch zu einer Hoffnungsgeschichte. Jesus schafft es, Lazarus zu ermächtigen, die Fesseln abzustreifen, die ihn jetzt schon bei den Toten angekettet haben. Lazarus darf die Binden und Bindungen lösen, die ihn an seinem eigenen Leben hindern! Wenn Jesus Lazarus beim Namen ruft, dann zeigt er ihm, dass dieser wirklich gemeint ist.

„Es ist nicht der Tod; es ist das Leben, das uns besiegt.“ Das stimmt leider sehr oft. Aber die Hoffnung der Kirche ist, dass es Aufwachen, Auferweckung aus dem Todesschlaf gibt. Nicht erst irgendwann, sondern schon heute. Die Hoffnung auf ein unabsterbbares, „ewiges“ Leben hat nämlich zuerst etwas mit dem Leben vor dem biologischen Tod zu tun.

Der Revolutionär Jesus hat gewusst, dass Auferstehung etwas mit Aufstand zu tun hat. Lazarus hat den Aufstand gewagt – um seines eigenen Lebens hier und heute willen  …

Pastor Michael Lier