„Die Gemeinde erdet mich als Priester“

Dirk Meyer
Dirk Meyer ist seit dem 1. November nicht nur Osnabrücker Dompfarrer, sondern auch Regens, also der Verantwortliche für die Priesterausbildung. Bild: KGV-Bremen

Dirk Meyer ist für die Priesterausbildung im Bistum Osnabrück zuständig – neben seinem Amt als Dompfarrer. Im Gespräch erzählt er, wie sich seine Ausbildung von der jetzigen unterscheidet, wie er die Diskussion um Ausbildungsstätten für Priesteranwärter wahrnimmt und was er zum aktuellen Thema „Priesterliche Existenz heute“ zu sagen hat.

Herr Pfarrer Meyer, Sie sind seit Herbst 2020 Regens, also Leiter der Priesterausbildung, im Bistum Osnabrück. Wie unterscheidet sich diese heute von Ihrer eigenen?

Der augenfälligste Unterschied besteht sicherlich darin, dass die Anzahl der Priesteramtskandidaten seit meiner Ausbildungszeit in den 90er Jahren rapide gesunken ist. Wir haben aktuell vier Priesteramtskandidaten, die sich im Theologiestudium befinden, und einen Kandidaten, der sich auf seine Diakonenweihe im kommenden März vorbereitet. Als ich studiert habe, waren die Seminare noch voll. Unser Bistum hatte damals sogar ein eigenes Studienhaus – das Niels-Stensen-Kolleg in Münster. Allein dort lebten und studierten zu meiner Zeit etwa 40 Priesteramtskandidaten. Hinzu kamen ähnlich viele an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen der Jesuiten in Frankfurt. Das Niels-Stensen-Kolleg gibt es längst nicht mehr.

Termin

Das Bistum Osnabrück organisiert am 4. März, von 17 bis 21 Uhr, eine Online-Veranstaltung zum Thema „Wir müssen reden! Priesterliches Leben zwischen Tradition und Erneuerung“. Dabei soll es um die Frage gehen, welche Rolle und Aufgabe der katholische Priester in einer Kirche hat, die sich zusehends verändert. Hier geht’s zur Anmeldung und weiteren Infos.

Die äußerst kleine Zahl hat erhebliche Auswirkungen auf die Organisation der Priesterausbildung. Um beispielsweise arbeitsfähige Weihekurse zustande zu bringen, braucht es schon seit längerer Zeit die Kooperation mehrerer Bistümer. Solche Kooperationen werden demnächst noch einmal vergrößert. So startet im Sommer dieses Jahres der erste Kurs, an dem unser Bistum und 13 weitere Bistümer überwiegend im Norden und Osten Deutschlands beteiligt sind.

Neben diesen eher technischen Veränderungen haben sich auch viele neue Frage- und Themenstellungen der Priesterausbildung ergeben. Das hängt mit den gesellschaftlichen und kirchlichen Rahmenbedingungen zusammen. So gesehen ist die Priesterausbildung ständig im Fluss.

Was muss ein Mann heute mitbringen, um Priester werden zu können?

Mal abgesehen von intellektuellen Fähigkeiten für das Theologiestudium ist eine dem Alter und der Lebenserfahrung angemessene menschliche Reife sehr wichtig.

Außerdem die Bereitschaft, spirituell zu wachsen – vor allem in der steten Suche nach Gott und seinen Spuren in der Welt und außerdem in der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus. Das beständige Gebet und die Nähe und Liebe zur Eucharistie möchte ich hier hervorheben. Wichtig ist auch die Bereitschaft, sich mit den sogenannten „Evangelischen Räten“ (Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam) auseinander zu setzen: Der Priesteramtskandidat bereitet sich darauf vor, sein Leben in inniger Verbindung zu Gott zu gestalten, einen einfachen Lebensstil zu führen und die eigene begrenzte Einsicht immer auch an dem zu überprüfen, was andere sagen: der Bischof, die Menschen in der Kirche, die Heilige Schrift.

Bischof und zwei Neupriester mit dem Kelch
Bischof Franz-Josef Bode reicht den Kelch an den Neupriester Markus Hartlage: Eindruck von der Priesterweihe 2020 im Dom St. Petrus. Im Hintergrund der zweite Neupriester Hubertus Lutterbach. Bild: Bistum Osnabrück

Muss sich ein Priesteramtskandidat auch damit auseinandersetzen, dass seine Berufswahl heutzutage eher „exotisch“ wirkt?  

Wichtig ist gewiss auch ein nüchterner Blick auf die Realität der Kirche im 21. Jahrhundert und ein besonnener Umgang damit. Ein Priesteramtskandidat heute beginnt seine Ausbildung unter dem Vorzeichen eines massiven Vertrauensverlustes in die Kirche – insbesondere in die institutionell verfasste Kirche. Zugleich wird das Umfeld von Kirche immer säkularer. Damit muss einer, der heute Priester werden will, ernsthaft umgehen können und wollen, um seelsorglich und pastoral tätig sein zu können. Er muss und wird sich hoffentlich auch im Klaren darüber sein, dass sich die Art und Weise, Kirche zu sein, gerade massiv verändert. Damit hängt auch ein sich wandelndes Verständnis des Priesteramtes ab. Immer deutlicher wird, was das Zweite Vatikanische Konzil schon grundgelegt hatte: dass das Amt des geweihten Priesters unabdingbar eingeordnet ist in das Gemeinsame Priestertum aller Getauften und Gefirmten, Beauftragten und Gesendeten in der Kirche. Hierzu gehört auch das Thema der Leitungsverantwortung nichtgeweihter Männer und Frauen.

Sie sind auch als Pfarrer der Dompfarrei in Osnabrück tätig. Hilft das für den realistischen Blick bei der Priesterausbildung?

In jedem Fall. Die Gemeinde erdet mich als Priester ungemein. Und diese Erdung kann für mich nur von Vorteil sein, was den realistischen Blick bei der Priesterausbildung anbelangt. Ich möchte dazu an dieser Stelle anfügen: Eine priesterliche Berufung wird ja nicht nur von den Ausbildungsverantwortlichen begleitet und beurteilt, sondern wesentlich auch von den Menschen in den Gemeinden.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Diskussion um die Standorte für die Priesterausbildung?

Die dramatisch gesunkene Zahl der Priesteramtskandidaten in allen deutschen Diözesen macht es erforderlich, die Ausbildung in der Studienphase an wenigen Standorten zu konzentrieren. Denn Priesterausbildung sollte – wenigstens zu einem Teil – auch zukünftig in Seminaren stattfinden, wo auf den priesterlichen Dienst mit den sehr spezifischen Fragestellungen und Herausforderungen hin ausgebildet werden kann.

Weitere Infos

Dirk Meyer (51) ist seit 1. November 2020 Dompfarrer und Regens des Bistums Osnabrück. Meyer ist in Nordhorn aufgewachsen. Von 1989 an studierte er in Münster und Freiburg katholische Theologie, von 1997 bis 2000 kam das Studium Bibliothekswesen in Hamburg hinzu. Nach der Priesterweihe 2002 war er Kaplan in Lingen und Osnabrück. Von 2006 bis 2014 leitete er die Diözesanstelle „Berufe der Kirche“ und war zusätzlich in der Seelsorge in Osnabrück tätig. Seit 2014 wirkte er als Pfarrer in der Propsteigemeinde St. Johann in Bremen.

Herausfordernd ist zurzeit noch die endgültige Festlegung der Studienstandorte. Auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz sind Münster im Norden, Mainz in der Mitte und München im Süden Deutschlands im Gespräch. Dazu gibt es noch viele offene Fragen. Als Trägerbistum haben wir zum Beispiel Interesse daran, dass die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt als Studienstandort erhalten bleiben kann.

Bei allen Diskussionen: Die Studienstandorte sollten es auf jeden Fall ermöglichen, dass Priesteramtskandidaten nicht nur isoliert für sich ausgebildet werden, sondern auch mit den Studierenden, die PastoralreferentInnen oder GemeindereferentInnen werden wollen oder mit ihrem Theologiestudium einen anderen Beruf anstreben. Für mich sind auch ergänzende Optionen denkbar: die Wohngemeinschaft mit Studierenden anderer Fachrichtungen im Seminar oder in einem entsprechenden Wohnheim, das Mitleben in einem Pfarrhaus oder in einer sozialen Einrichtung oder auch die eigene Wohnung auf Zeit für sich alleine.

Der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland behandelt in einem Forum das Thema der priesterlichen Lebensformen. Auch im Bistum Osnabrück findet am 4. März eine Veranstaltung dazu statt. Was erwarten Sie sich von diesen Prozessen und Beratungen für Ihre Arbeit als Regens?

Ich erwarte weitreichende theologische, (pastoral-)psychologische und spirituelle Impulse hinsichtlich eines reformbedürftigen kirchlichen Priesterbildes. Diese Impulse gilt es kontinuierlich in die Priesterausbildung einzuspeisen. Dabei geht es um die sehr komplexe Frage des priesterlichen Leitungsdienstes in einer sich wandelnden Kirche und die Bereitschaft zu einer selbstkritischen Vergewisserung der eigenen priesterlichen Berufung – nicht in der Behauptung einer herausgehobenen Position oder Stellung, sondern in der Ausübung des priesterlichen Dienstes in Beziehung zu den Menschen.