Einen Platz für Sinn reservieren

Postkarten
Bild: privat

Was für ein schöner Zufall: Vor einer Veranstaltung im Forum am Dom entdecke ich auf einem leeren Stuhl ein „Reserviert“-Schild und daneben eine Postkarte mit nur einem Wort: „Sinn“. Ja, das passt, denke ich. Nicht nur für den Referenten des Abends ist ein Stuhl freizuhalten. Es spricht auch was dafür, einen Platz für „Sinn“ zu reservieren. Die Karte haben Mitarbeitende des Osnabrücker Hospiz ausgelegt. Mit einer Postkartenaktion regt das Hospiz dazu an, über „Fragen rund um das Leben“ nachzudenken. Mich spricht diese stille und inspirierende Aktion sehr an. Sinn, Geschmack, Sehnsucht, Danke, Stille sind nur einige Stichworte, mit der jeweils Karten in leuchtenden Farben beschriftet sind. Auf der Rückseite der Sinn-Karte lese ich drei Fragen: Was trägt dich? Was erfüllt dich? Was gibt dir Kraft? Fragen, die man nicht mal so eben schnell beantwortet hat.

Aber gerne lasse ich mich auf so sinn-volle Weise einladen, zwischendurch einmal, wo auch immer, innezuhalten und mir ein wenig Zeit für diese Fragen zu nehmen. Vielleicht habe ich ja gerade gestern etwas erlebt, was mir Kraft geschenkt hat. Aber der Alltag hat es schon wieder zugeschüttet. Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass schon das kurze Daran-Denken neue Kraft schenkt. Besonders in dieser wahn-sinnigen Zeit mit so viel Un-Sinn macht es Sinn, mich auf die Suche nach Sinn zu begeben. Was schenkt meinem Leben Sinn? Was trägt mich? Was erfüllt mich? Was gibt mir Kraft? Beziehungen, Freundschaften, Familie, Erlebnisse in der Natur, Arbeit, Engagement, Musik, Glaube …?

Postakarten

„Leben. Bis zuletzt“. Auch diese Worte finden sich ganz klein unten auf den Karten. Es benennt die Grundausrichtung der Hospizbewegung. Deren Gründerin, Cicely Saunders, hat es so formuliert: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ Wenn Mitarbeitende in der Hospizarbeit davon berichten, wie sie das täglich in der Begleitung von Schwerkranken, Sterbenden und deren Angehörigen zu verwirklichen suchen, dann beeindruckt mich das sehr. Gerne lasse ich mich durch die Karten mit den Impulsen rund um das Leben daran erinnern: Auch mein Leben ist verwundbar und begrenzt. Und gerade deshalb macht es Sinn, den Tagen mehr Leben zu geben.

Über die Autorin

Daniela Engelhard ist Leiterin des Forums am Dom in Osnabrück. Bei der Arbeit in dieser Einrichtung der Citypastoral kommt sie mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Von Erlebnissen und Themen, die sie bewegen, berichtet sie in ihren Blogbeiträgen.

Der Stuhl im Forum ist eigentlich für Frank Berzbach reserviert. Er ist ein Sinn-Sucher und erzählt bei einer Lesung aus seinem neuen Buch „Ich glaube an Engel – manche fahren Bus“ von „heiligen Momenten“ im Leben. Ein solcher Moment – halb Traum, halb Wirklichkeit – sei ihm widerfahren, als er nachts bei Schneeregen allein in einem Bus gefahren sei. Angesichts des garstigen Wetters habe der Busfahrer angeboten, seine planmäßige Strecke zu verlassen und ihn direkt zu seinem Ziel zu fahren. „Der Fahrer hat die Einsamkeit einfach aufgehoben zwischen uns. Wir sind nicht zwei einsame Männer in einem nächtlichen Bus, wir sind zwei verbundene Geschöpfe.“ Leuchtspuren von Sinn blitzen in solchen völlig überraschenden, unverfügbaren Momenten auf.

Die Augen öffnen für „heilige Momente“, nach dem Leben im Leben suchen oder einfach einen Platz für Sinn reservieren. Dieses Motto werde ich mit in den Advent nehmen.

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