Glauben ohne Geländer

Große Tür mit Treppe
Bild: pixbay.com, Tama66

„Glauben ohne Geländer“, so lautet der Titel eines Buches des Dominikanerpaters und Lehrers Tiemo Rainer Peters. Darin führt er mit einem seiner Schüler Briefgespräche über brennende Fragen des Lebens, des Glaubens und der Theologie. Am 25. November 2017 starb Pater Peters im Alter von 79 Jahren an einer Krebserkrankung. Ich denke gerne an Gespräche mit ihm im Kloster Lage zurück. Seine schwere Krankheit zeichnete diese Begegnungen.

lm Augenblick kommt mir der Titel „Glauben ohne Geländer“ oft in den Sinn. Er beschreibt kurz und knapp die augenblickliche Situation eines Christen, zumal eines Katholiken. Viele Geländer werden uns genommen. Gemeinschaftserlebnisse sind in Coronazeiten selten. Gesprächskreise und Begegnung fallen schon seit Monaten aus. Besuche und Kontakte sind stark reduziert. Zeitgleich erleben wir eine dramatische Infragestellung der Kirche. Kirche wird fast nur noch mit Missbrauch in der Öffentlichkeit thematisiert. Positive Meldung sind selten. Die überzeugende und glaubwürdige Arbeit von Christen findet kaum Beachtung. Die Geländer des Glaubens werden uns genommen.

Über den Autor

Theo Paul ist Domkapitular und unter anderem für die Krankenhäuser, Klöster und geistlichen Orte im Bistum Osnabrück zuständig. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Das zeigt sich manchmal noch deutlicher in einer schweren Erkrankung. Es gibt die Situation der leeren Hände, der Sprachlosigkeit, der Finsternis. Ein Geländer ist nicht zu fassen. Ein Leben voller Zumutungen!

Als Christen haben wir kein zusätzliches Wissen zur Krisenbewältigung, außer dass wir Gottes Bestimmungen anfragen und anklagen können. Manche theologische Antwort ist nicht krisenfest, so manche gottlose moderne Antwort ist eine Scheinlösung.

Ich selbst kann mit diesen vielen Fragen leben. Dankbar bin ich für einen Glaubensweg, der sich auch ohne Geländer als sehr verlässlich erweist.

 

6 Kommentare zu “Glauben ohne Geländer

  1. Ich bin mir nicht sicher, lieber Theo, ob sich Tiemo wirklich so gerne so veröffentlichen lassen wollte. Jedenfalls fühlte er sich eigentlich gar nicht so gerne so zusammengefasst, wie er es ausgedrückt hat, auch wenn er nicht nur mit Hannah Arendt denken, sondern auch mit Dietrich Bonhoeffer „ohne Geländer“ glauben wollte. Das heißt aber: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott“, wie Bonhoeffer es ausgedrückt hat. Der Atheismus der Moderne ist eine Tatsache, die wir nicht ignorieren können, um dem Glauben dann in einem problembereinigten Winkel ungestört nachgehen zu können und ihn damit erst recht zu verlieren. Mit diesem „Vor-und-mit-Gott-ohne-Gott“ geht es Tiemo aber nicht um den Atheismus als Weltanschauung, der selbst ja nicht anderes als ein Glaube ist. Es geht ihm um den Atheismus als Methode, den die Kirchen gerade auch in der aktuellen Debatte um den assistierten Suizid zur Kenntnis nehmen müssen. Methodische Gottlosigkeit bedeutet hier, dass sich ein gläubiger Arzt, der hier seinen Glauben zur Methode seines Berufs erklären würde, lächerlich machen und außerdem eine Gefahr für seine Patienten würde. Karl Rahner hat diesen in seiner Substanz beschädigten Glauben „kryptogram“ genannt, weil er oft gar nicht mehr merkt, dass sein Leben nur noch wenig mit dem zu tun hat, was er da glaubt. Und Tiemo hat hier nicht nur gegenüber Karl Rahner, sondern auch gegenüber Baptist Metz die nominalistische Tiefenstruktur der politischen Theologie in Erinnerung gerufen, um damit dem Leiden des Einzelnen in seiner Singularität gerecht zu werden.

  2. Ja, die Situation scheint in Anbetracht der vielen Verwerfungen so wie beschrieben und vielen Christen brechen die Sicherheiten weg. Die Frage stellt sich allerdings, ob nicht viele Sicherheiten in Wahrheit Scheinsicherheiten waren, ob nicht manches Geländer nur hingemalt und nicht tatsächlich vorhanden war.

    Wer sich mit der akademischen Theologie aber intensiver beschäftigt, der stellt plötzlich fest, wie lebendig die Kirche in diesem Bereich des Lehramtes ist. Da wird intensiv geforscht und diskutiert,Thesen aufgestellt und verworfen. Und es werden auch Antworten gefunden! In der akademischen Theologie findet sich weithin eine Lebendigkeit, die man in der Amtskirche mit all ihren Organisationen oft nicht mehr entdecken kann. Hier kommen Glaube und Theologie, aber auch Antworten für die heutige Zeit tatsächlich weiter. Wer es nicht glaubt, der möge beispielsweise das Buch von E. Schockenhoff „Theologie der Freiheit“ zu Hand nehmen. Es ist ein fulminantes Buch, das auch und gerade den Fragen der modernen Philosophie nicht ausweicht und handfeste Antworten auf moderne Fragen zu geben versucht. Dies ist nur ein Beispiel und sicher keine leichte Lektüre -aber wo steht geschrieben, dass der Glaube keine intellektuelle Anstrengung erfordern würde?
    Glaube muss vor der Vernunft bestehen! Und er kann es!

    Die Geländer, die jetzt wegbrechen, das sind die Anmaßungen des 19. Jahrhunderts, als in den Nachwehen der französischen Revolution, das Hirtenamt der Kirche (sprich der Papst und nachgeordnet die Bischöfe) in der Zeit des 1. Vatikanischen Konzils glaubte, auch das Lehramt übernehmen zu können. Die Kirche hat dadurch zunächst den intellektuellen Anschluss an die jeweilige Moderne verloren und jetzt geht es auch der Organisation an den Kragen. Aber ist es schade darum? Zum Glück gibt es in den Universitäten noch die lebendige Theologie und nur von dort her können Weiterentwicklung, Konsolidierung und damit auch neue Geländer kommen.
    Und so wie der Einzelne vor Gott nicht durch seine guten Werke gerettet werden kann , sondern nur durch Gottes Gnade (Epheserbrief 2,5 und 8-10) so wird auch die Kirche als solche nicht durch die Bischofsstühle und schon gar nicht durch katholische Krankenhäuser oder die „Caritas“ gerettet werden. Die sind längst weitgehend innerlich und inhaltlich leer und marode geworden, taugen nicht zum Geländer. Wenn sie weg sind, wird ihnen kaum jemand nachtrauern, weil es sich längst herausgestellt hat, was Paulus schon im Epheserbrief schreibt, dass es nämlich nicht die vermeintlich guten Taten sind, die uns und damit die Kirche retten werden.
    Retten kann uns der vor der Vernunft bestehende Glaube und das Vertrauen auf Gottes Gnade. Das erfordert intellektuelle Arbeit und Gebet. Dann soll es wohl gut werden.

  3. „Es gibt einen Markt, auch einen theologisch-spirituellen“, hat Tiemo Peters einmal ueber die Rezeption Dietrich Bonhoeffers gesagt, „auf dem Biographisches zum Spekulationsobjekt degeneriert. Das elementare Beduerfnis nach menschlicher Mitteilung, nach Erfahrungsaustausch, Anteilnahme, authentischem Leben, wird so noch einmal zynisch missachtet und gewinntraechtig ausgenutzt.“ Ueber seine eigene theologische Biographie haette es Peters nicht besser sagen koennen. Was also die genannte Veroeffentlichung angeht – nicht den Kommentar von Theo Paul! – kann ich leider nur fordern, was offensichtlich zu spaet kommt: „Nicht gedacht soll ihrer werden!“
    Was mich ansonsten wundert, ist, wie fuer das kirchliche Lehramt Sonntag und Alltag, Kirche und Welt, Glauben und Leben immer noch so auseinanderfallen, als haette es einen Dietrich Bonhoeffer, Karl Rahner oder Tiemo Peters nie gegeben. Es scheint, als ringe hier der kirchlicher Apparat um sein immer ungewisseres Ueberleben.
    Um es passend zum Kirchenjahr noch einmal deutlich zu sagen: Christus ist nicht an Karfreitag gestorben, und an Ostern ist er nicht auferstanden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wo wir seines Todes gedenken und darin die Erfahrung seiner zukuenftigen Auferstehung machen, ist Sonntag fuer uns, Ostern und Karfreitag. Das kann an jedem Tag sein, an dem wir uns herausrufen lassen und Gemeinschaft werden durch Christi Gabe und Gebot: eines neuen Sehens und Hoerens, eines Hinsehens und Zuhoerens, einer alltaeglichen Aufmerksamkeit „auf den goettlichen Ruf im Schrei des Naechsten“ (Tiemo Peters). Ob wir diese Aufmerksamkeit noch Glauben nennen und jene neue Gemeinschaft Kirche, ist angesichts dessen, was uns hier zugemutet, aber auch zugetraut wird, voellig sekundaer.
    Bertil Langenohl, Tel Aviv

  4. Da sprichst du einen wichtigen Punkt an, lieber Bertil, den Dreh- und Angelpunkt, gleichsam den geheimen Schlüssel, den Tiemo in Eberhard Bethges Bonhoeffer-Biographie gefunden und jedem zukünftigen Versuch einer lebensgeschichtlichen Interpretation seiner Gefängnisbriefe ins Stammbuch geschrieben hat. Der gemeinte hermeneutische Schlüssel hat mit Nachfolge zu tun, mit Sympathie und Parteilichkeit eines Freundes. Er geht weit über den theologischen Kampf um einen engagierten Glauben und ein glaubwürdiges, kirchenkämpferisches Christentum hinaus, dessen Radikalität sich eher der mystischen Vertiefung als der politisch-theologischen Kritik zu verdanken scheint. In diesem Sinne sind auch die Gefängnisbriefe das Werk einer Freundschaft, aber so, dass die Theologie hier nicht hinter dieser Freundschaft zurücktritt, sondern in ihren Dienst gestellt wird. „Theologie ist ein Hilfsmittel, ein Kampfmittel, nicht Selbstzweck.“ Diesen Grundsatz, den Bonhoeffer seinerzeit seinen opportunistischen Kollegen entgegengeschleudert hatte, hat Tiemo daher auch über seine eigene Promotion gestellt. Er kann wohl als hermeneutischer Schlüssel seiner Theologie gelten, weil mit ihm, wie mit Bonhoeffers Gefängnisbriefen, persönliche Erfahrungen verarbeitet werden, die weniger der religiösen Beschaulichkeit dienen, als dem Bedürfnis Erfahrungen mitzuteilen. Sie sind eine Bitte um Teilnahme, eine Bitte, Anteil zu nehmen an einer theologischen Biographie, die herausfordert, statt heimzuführen in die eigene Welt oder ins jeweils vertraute System. Bethge hat solchen Verwertungszusammenhängen widerstanden und die Briefe seines Freundes geschützt, wo andere längst dazu übergegangen waren, sie in die kleine Münze der theologischen und religiösen Brauchbarkeit umzuwandeln, wie Tiemo es einmal ausgedrückt hat. Umso gespannter dürfen wir jetzt auf dein Biographie-Projekt sein, lieber Bertil, mit dem ja nicht nur du deine theologische Trauerarbeit leistest.

  5. Glauben ohne Geländer? Ja, so empfinden es zu Zeit sicher viele Gläubige, wenn ich allerdings diese Kommentare lese, dann fehlt mir nicht nur das Geländer, ich hab das Gefühl, das neben dem Geländer auch alle Stufen oder jeder Boden wegfällt und ich mich im freien Fall befinde. Uns hilft es wenig, wenn von akademischer Theologie, in der geforscht und diskutiert wird, geredet wird. Taten sind erforderlich nicht Worte. Die meisten Christen sind keine Akademiker und möchten klare und einfache Antworten und keine akademischen Spitzfindigkeiten. Dem letzten Absatz im Artikel von Theo Paul kann ich voll und ganz zustimmen.

  6. Du hast völlig Recht, Paula, alles kommt an auf die Praxis, die ich als ein neues Sehen und Hören, ein Hinsehen und Zuhören, eine alltägliche Aufmerksamkeit „auf den göttlichen Ruf im Schrei des Nächsten“ (Tiemo Peters) zu beschreiben versuchte. Neben dieser Praxis jedoch hat auch die Theologie ihr Recht, als „Hilfsmittel“, nicht als „Selbstzweck“, wie Bonhoeffer forderte; um nämlich die Praxis immer wieder zu orientieren auf ihren Grund hin. Denn sonst geht es in der Kirche am Ende tatsächlich nur noch um Rollen, Verfahren und Strukturen, also letztlich um Macht und ihre Verteilung.

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