Mehr Gott wagen

Regenbogen über dem Meer
Bild: unsplash.com, Lucie Dawson

Bischof Franz-Josef Bode ist in seiner Weihnachtsbotschaft auf den Vertrauensverlust der Kirche eingegangen. Die Rede der Kirche von Gott und über Gott sei vielen Menschen unglaubwürdig geworden, sagte Bode in seiner Predigt am ersten Weihnachtstag im Osnabrücker Dom. Zu oft habe man Gott für alles Mögliche herangezogen, um der eigenen Meinung und der eigenen Macht Gewicht zu geben.

Unter anderem mit Blick auf die Missbrauchsfälle in der Vergangenheit betonte Bode, dass die Unglaubwürdigkeit ihrer Zeugen und die Fehlbarkeit vieler Aussagen Menschen nur schwer daran glauben lasse, „dass Kirche in ihrem tiefsten Grund in der Wahrheit gehalten ist.“ Die Kirche und die Christen seien nur dort glaub- und vertrauenswürdig, wo sie von ihren guten Erfahrungen mit Gott sprechen: „Sie können dann Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen, wenn man ihnen anmerkt, dass Gott ihr Leben positiv verändert hat.“

 

Hier können Sie die Predigt im Wortlaut nachlesen:

Lesungen:       Jesaja 52,7-10 + Hebräer 1,1-6
Evangelium:   Johannes 1,1-18

„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.“ Dieser gewaltige Text, liebe Schwestern und Brüder, mit dem das Johannesevangelium beginnt, wirkt heute eher wie eine Theologelei angesichts der Realitäten in der Welt, in der nichts mehr selbstverständlich ist an der Rede von Gott und in der das Wort nur noch einen sehr begrenzten Stellenwert hat in der Flut der Wörter, die jeden Tag durch die Gegend geschickt werden.

Das Wort „Gott“ mag noch herhalten für ein höheres unpersönliches Etwas als Urgrund des Lebens. Als lebendige Person, mit der wir auf Du und Du sind, ist es vielen absolut fremd. Das liegt vor allem auch daran, dass ihnen die Rede der Kirche von Gott und über Gott unglaubwürdig geworden ist. Zu oft hat man ihn als Begründung für alles Mögliche herangezogen, um der eigenen Meinung, der eigenen Macht Gewicht zu geben und sie unhinterfragbar zu machen. Deshalb ist es heute auch so schwer, von ewigen Wahrheiten zu sprechen oder gar von Unfehlbarkeit der Kirche oder des Papstes, wie sie vor 150 Jahren definiert worden sind.

Die Unglaubwürdigkeit ihrer Zeugen und die Fehlbarkeit vieler Aussagen lässt Menschen nur schwer daran glauben, dass Kirche in ihrem tiefsten Grund in der Wahrheit gehalten ist!

Warum sage ich das gerade an diesem Fest, am Fest der Menschwerdung unseres Gottes? Weil uns die Rede von Gott nun doch einmal leicht, womöglich zu leicht über die Lippen geht, da sich dieser Gott als Kind, als kleiner Mensch zeigt, ganz unten bei uns in einer um die Krippe aufgebauten Idylle von Bethlehem, die nur wenig von seiner Fremdheit und Andersheit spüren lässt. Die einen, die heute so flüssig von der Menschwerdung Gottes sprechen, wissen schon genau, wer und wie er ist. Und die anderen, die nichts mehr von ihm wissen wollen oder mit ihm nichts mehr anfangen können – außer vielleicht in feierlichen Stunden –, auch sie wissen ziemlich genau, wie Gott ist, sonst würden sie ihn nicht lassen.

Die Bibel selbst mag uns zu einfach von Gott sprechen, wenn es in der 1. Lesung heißt, dass alle das Heil unseres Gottes sehen werden, und in der 2. Lesung, dass Gott auf vielerlei Weise durch die Geschichte zu den Menschen gesprochen hat. Offensichtlich ist es heute entschieden schwieriger, vom Sehen und Hören Gottes zu reden und von seinem Sprechen, von seinem Wort.

Da hat mir ein Gedicht des heutigen geistlichen Dichters Andreas Knapp sehr gefallen, dass ich Ihnen vortragen möchte:

wie von Gott reden

ein gebärender Vater

eine zeugende Mutter

 

wer sich einem Menschen nähert

oder an das Gottgeheimnis rührt

dem verschlägt es jede Sprache

 

wer von Liebe reden will

dem zerbrechen alle Worte auf den Lippen

denn Liebe ist unsäglich

 

unsere Sprache ist zu löchrig

um die Wirklichkeit zu kleiden

die Begriffe selbst versagen sich

 

angesichts von Gott bleibt nur

das stammelnde Verstummen

und bedingungslose Anbetung

Andreas Knapp, aus dem Vater geboren, in: Tiefer als das Meer. Gedichte zum Glauben, Würzburg 2005, S. 21

 

„… angesichts von Gott bleibt nur das stammelnde Verstummen und bedingungslose Anbetung.“ Die Menschen an der Krippe haben das verstanden. Die schlichten, einfachen Hirten kommen und bringen sich selbst mit, ohne große Worte zu machen. Aber dann heißt es: Sie erzählten von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und dann die Suchenden, die Weisen, die Sterndeuter aus der Ferne. Auch von ihnen kein Wort, sondern nur, dass sie niederfielen und anbeteten, dem Kind huldigten und ihre Gaben und Geschenke niederlegten. Hingabe und Anbetung ist ihre Haltung vor diesem Geheimnis. Und bei der Rückkehr fühlen sie sich veranlasst – biblisch durch einen Traum –, auf einem anderen Weg heimzukehren.

Wer vor dem Geheimnis der Weihnacht in die Knie gegangen ist und sich selbst als Geschenk gebracht hat in menschlichen Zeichen, der kann nicht zurückkehren wie er gekommen ist!

Von dem immer größeren und immer anderen Gott, vor dem alle Worte versagen, können letztlich nur Menschen sprechen, die Erfahrungen mit ihm gemacht haben wie die schlichten, oft für gesetzlos erklärten Hirten und die Suchenden und Fragenden, denen die Worte ausgingen in der Begegnung mit dem Kind. Und wir können nur eine Rede von Gott durch Menschen annehmen, weil Gott uns diese Erfahrungen ermöglicht, und in unübertrefflicher Weise, seit er allen Mensch, Kind, Wort und Tür geworden ist. Von diesen Erfahrungen können wir erzählen, aber immer in dem Bewusstsein, dass jedes Wort über Gott gleichzeitig Lüge ist – so scharf hat es ein Theologe formuliert –, weil er doch immer noch anders ist als unser Wort.

Wir können von ihm reden, weil sein Geheimnis durch die Jahrhunderte unzählige Menschen in ihrem Suchen verändert hat und sie so zu völlig neuen Wegen bereit waren. Wir kennen also weniger das Wesen Gottes als seine Wirkungen, die ihn als Lebendigen zeigen.

Nur dort ist Kirche, sind Christen glaubwürdig und vertrauenswürdig, wo sie von ihren guten Erfahrungen mit Gott sprechen und nicht nur über ihre theologischen Reflexionen. Sie können dann Glaubwürdigkeit und Vertrauen gewinnen, wenn man ihnen anmerkt, dass Gott ihr Leben positiv verändert hat und sie einem Geheimnis trauen, das menschlich einzig und allein mit der Unsäglichkeit der Liebe vergleichbar ist.

Weitere Infos

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In einer Welt, in der die Worte oft mehr zur Beurteilung und Verurteilung anderer benutzt werden, in der man mehr übereinander als miteinander spricht und immer weniger ein Wort füreinander hat, brauchen wir das fleischgewordene, menschgewordene, lebendige Wort von woanders her. Und in einer Welt, in der alles machbar, kaufbar, herstellbar und wieder wegwerfbar ist und fast nichts mehr endgültig gilt, brauchen wir die Tiefe, brauchen wir das Wunder eines Geheimnisses, das gerade in seiner Unsäglichkeit verlässlich ist und unser Leben und Handeln begründet und trägt.

Wer von Liebe reden will, dem zerbrechen alle Worte auf den Lippen, denn Liebe ist unsäglich. Aber würden wir deshalb die Existenz der Liebe in Frage stellen? Wer von Gott reden will, kann ebenfalls nur stammelnd verstummen und bedingungslos anbeten. Und genau deshalb brauchen wir seine Existenz nicht zu leugnen – selbst in solch verrückten Zeiten wie heute nicht.

Ja wir können sogar mit der 1. Lesung und dem Propheten Jesaja sagen: der Herr tröstet sein Volk, und mit dem Hebräerbrief: Ich, Gott, will dir Vater sein, und du wirst für mich Sohn und Tochter sein. Und mit dem Evangelium können wir sagen: Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat von ihm Kunde gebracht.

Wie sollten wir seiner Kunde nicht trauen, gerade wenn dem menschlichen Künden die Worte fehlen oder diese menschlichen Worte so fehlbar sind?! Wer seiner Kunde, wer Gottes Wort durch die Zeiten traut – auch in diesen Zeiten heute –, kann trotz allem in einer weithin lieblosen Welt mehr Liebe wagen, kann in einer oft entzauberten Welt mehr Geheimnis wagen, kann in einer des Gebets zunehmend entfremdeten Welt mehr Anbetung wagen, ja, ich wage es zu sagen, kann in einer gottlos erscheinenden Welt mehr Gott wagen, weil er es mit uns gewagt hat – ein für alle Mal!

Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest! Amen.