Orientierung schenken

Hand hält ein Licht
Bild: unsplash.com, Gabriele Ribeiro

Die Apostel versammelten sich wieder bei Jesus und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.

Markus 6,30-34

 

Vor einiger Zeit in einem Krankenhaus: ein Anruf von der Station, ich möge doch bitte Herrn H. besuchen. Ich kenne Herrn H. schon einige Wochen, und so gehe ich los, klopfe an die Tür und höre eine schwache Stimme: „Herein!“ Wir begrüßen uns, und dann platzt es aus ihm heraus: „Ich habe heute Morgen erfahren, dass ich Krebs habe.“ Bevor ich überlegen kann, wie ich angemessen und hilfreich reagiere, flutscht es mir aus meinem Mund – das Wort, das man nicht in den Mund nehmen soll. Ich entschuldige mich bei Herrn H. für meinen spontanen Kommentar, doch Herr H. winkt ab und sagt mit einem tiefen Seufzer aber mit fester Stimme: „Das ist das einzig Gescheite, was ich in den letzten Stunden gehört habe.“ Und er fährt fort: „Seit meine Diagnose bekannt ist, begegnen mir alle mit mitleidigen Blicken – das nervt.“

„Ich will kein Mitleid!“ – Das war der eindeutige Wunsch von Herrn H. Und ich höre das immer wieder von Menschen, die krank sind oder mit einem Handikap leben müssen. Warum reagieren Viele auf Mitleid so allergisch? Liegt es vielleicht daran, dass bei Mitleid – auch wenn es ehrlich gemeint ist – die Beziehung aus dem Gleichgewicht, aus der Balance gerät? Wer bemitleidet wird, fühlt sich benachteiligt, schwach, während der Andere in der Position des Stärkeren zu sein scheint.

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Im Evangelium dieses Sonntags heißt es, dass Jesus Mitleid hat. Jesu Mitleid ist allerdings nicht nur ein Gefühl oder eine innere Haltung, sondern wird zur Tat. Jesus spürt, was den Menschen fehlt und was sie am dringendsten brauchen: Orientierung – umschrieben mit dem Bild eines Hirten. Und Jesus hilft ihnen, er erzählt vom Reich Gottes, er heilt und schenkt den Leuten auf diese Weise Orientierung und Zukunftsperspektiven. Und weil Jesus sich selber an dem orientiert, was er verkündet, ist er glaubwürdig und sein Mitleid ein echtes Mitgehen – nicht nur für die Leute damals, sondern auch für die Menschen heute.

Lucia Zimmer