„Unser Glaube ist extrem demokratisch“

Ein Mann steckt einen Umschlag in eine Urne.
Am 26. September ist Bundestagswahl: Was Kirche und Demokratie verbindet, sagt Propst Bernhard Stecker im Interview. Bild: unsplash.com, Arnaud Jaegers

Die Bundestagswahl ist nicht mehr weit, am 26. September sind alle Wahlberechtigen dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. In kirchlichen Kreisen wird der Wahltag auch als ein „Hochamt der Demokratie“ bezeichnet. Aber was haben Kirche und Demokratie miteinander zu tun? Warum lehnte die katholische Kirche die Demokratie über lange Zeit ab? Und wen sollten Christinnen und Christen wählen? Einige Fragen an Bernhard Stecker, Propst in Bremen.

Propst Stecker, Sie haben sich in Ihrer Doktorarbeit mit dem Thema Demokratie in Staat und Kirche beschäftigt. Was hat Sie dazu bewogen?

Mein Vater hatte die Zerstörung der Weimarer Republik noch als Schüler erlebt und dann die nationalsozialistische Gewaltherrschaft, die in den mörderischen Krieg mündete. Das hat ihn sehr geprägt. Es motivierte ihn nach dem Zweiten Weltkrieg, eine andere Gesellschaft, ein anderes Staatswesen aufzubauen. Er hat sich von Anfang an politisch engagiert und Ämter übernommen; er war Bundestagsabgeordneter. Politik spielte bei uns Zuhause immer eine große Rolle. Meine Geschwister, meine Mutter, wir alle haben viel darüber gesprochen. Daher habe ich mich gerne mit dem Zusammenleben der Menschen und der Frage beschäftigt, wie man das organisieren muss, damit es gerecht und gesittet zugeht und zu guten Entscheidungen kommt.

Sie sind nicht nur Propst in Bremen, sondern arbeiten als Leiter des Katholischen Büros in Bremen auch an der Schnittstelle von Kirche und Politik. Können Sie dort von Ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema profitieren?

Zur Person

Bernhard Stecker, geboren 1964 in Meppen, ist Pfarrer der Propsteigemeinde St. Johann in Bremen.  Als Propst leitet er darüber hinaus den Katholischen Gemeindeverband und ist Dechant des Dekanats Bremen. Gleichzeitig ist er Leiter des Katholischen Büros, der Kontaktstelle der katholischen Kirche im Land zum Bremer Senat und zur Bremischen Bürgerschaft.

Mann lacht in die Kamera

Ja. In meiner Doktorarbeit ging es darum, was die Kirche aus der Sicht des Staates beitragen kann zum gelingenden demokratischen Miteinander und ob es überhaupt wichtig ist, dass Kirche da präsent ist. Das war aus staatlicher, gesellschaftlicher Perspektive bedacht. Gerade nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Kirche und andere gesellschaftliche Institutionen viele Rechte. Der Grundgedanke war: Man gibt ihnen Verantwortung, um zu verhindern, dass der Staat in totalitärer Versuchung alles allein beherrscht. Und meine Perspektive war: Wie kann man begründen, warum die Kirche solche Möglichkeiten aus staatlicher oder aus gesellschaftsphilosophischer Perspektive hat? Insofern hilft mir schon, dass ich mich mit der Sicht des Staates und der gesellschaftlichen Verantwortlichen beschäftigt habe – zwar nicht direkt, aber als Gesprächsgrundlage. So kann ich aus dieser Sicht auf Kirche schauen und verstehen, wie Menschen, die in politischer Verantwortung stehen, auf Kirche sehen und was sie von ihr erwarten oder auch nicht erwarten können oder dürfen.

Im 19. Jahrhundert haben die Päpste Gregor XVI. und Pius IX. die Demokratie strikt abgelehnt. Warum eigentlich?

Es gab und gibt so eine Versuchung, dass sich Kirche mit Machthabern verbindet, um selbst davon zu profitieren. Und die beiden Päpste empfanden vermutlich eine demokratische Gesellschaft mit Rechtsstaat und Freiheit als Bedrohung und Gefährdung ihrer Macht. Man muss bitter einräumen, dass ein Umschwung erst durch die totalitäre Erfahrung des 20. Jahrhunderts im Nationalsozialismus und Kommunismus entstand. Da erlebte man, dass es nicht egal ist, welche Herrschaftsformen wir haben. Und dass sich ein totalitäres System massiv gegen die Kirche wenden kann. Daher hat sich die Kirche schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil unter Papst Pius XII. neu positioniert und Demokratie als bessere Staatsform anerkannt.

Das jetzige Papsttum ist aber mehr eine Monarchie als eine Demokratie

Die Kirche hat für sich monarchische Strukturen bewahrt. Ich halte das natürlich für falsch, aber das ist die Realität. Aus der Sicht des Staates ist das im Prinzip in Ordnung. Demokratie heißt nicht, dass jede einzelne Organisation demokratisch organisiert ist. Soldaten in der Bundeswehr können auch nicht ihre Generäle wählen. Und in der Schule oder im Unternehmen muss nicht alles demokratisiert werden. Insofern ist es aus Sicht des Staates völlig in Ordnung, dass die Kirche das so macht.

Und aus der Sicht der Kirche?

Die Frage ist, ob unsere Strukturen noch richtig und hilfreich sind. Das Papstamt halte ich immer noch für zukunftsweisend. Es ist gut für die Entwicklung unserer Kirche, ein einigendes Band in einem Amt zu haben – gerade in einer weltweiten Gesellschaft mit Konflikten, in der vieles auseinanderdriftet. Eines hat sich in der Kirchengeschichte gezeigt: Immer, wenn es starke Päpste gab, waren Reformen in der Kirche möglich. Das erleben wir auch bei Papst Franziskus. Eine Schwächung des Papstamtes erhoffe ich nicht – dann kommen erst recht beharrende Kräfte an die Macht. Insofern ist ein Papstamt wichtig, aber es muss modern interpretiert werden. Franziskus macht das ja auch.

Am 26. September ist Bundestagswahl. Warum sollten Christen wählen gehen?

Weitere Infos

  • Landwirtschaft, Klimaschutz, der globale Wert der Arbeit und Friedenspolitik – vier Fragen zu diesen Themenbereichen hat die Bischöfliche Kommission für Mission, Entwicklung und Frieden des Bistums Osnabrück 38 Kandidat*innen aus der Region gestellt, die in den Bundestag gewählt werden wollen. Hier geht’s zu den Antworten.
  • Der Familienbund der Katholiken im Bistum Osnabrück hat die Kandidat*innen gefragt, was sie in der nächsten Amtsperiode für Familien erreichen wollen. Die Antworten sind auf der Internetseite des Familienbunds veröffentlicht.

Unser Glaube ist extrem demokratisch: Wir glauben, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Gott haben durch Jesus Christus. Insofern ist im Christentum ein großes Gleichheitsideal angelegt und eine Tendenz, die Rechte und Freiheiten des Menschen anzuerkennen. Das ist ein starker Impuls in Richtung Rechtsstaat und Demokratie. Deswegen passt es zu einem Christen, das nicht nur im Geistlichen zu haben und zu leben, sondern auch ins Politische zu tragen. Ich halte es schon für wichtig, dass wir unser Gemeinwesen gemeinsam gestalten und gemeinsam Verantwortung übernehmen in unseren unterschiedlichen Meinungen und Interessen.

Woran sollten sich Christen bei ihrer Wahl orientieren?

Wir sprechen vom christlichen Menschenbild, aber für mich ist das eine schwierige Formulierung. Denn der Mensch wird im Christentum durchaus unterschiedlich gesehen. Damit liegt keine einfache Antwort nahe. Ich glaube, dass alles, was der Freiheit, dem Frieden und Wohlstand der Menschen dient, aus der Sicht des Glaubens für den Menschen gut und förderlich ist. Daran sollten sich Christen orientieren. Dahinter stehen Grundwerte, die in den Parteien unterschiedlich aufgenommen und in Programme übersetzt werden. Christen dürfen aber auch verschiedene Meinungen und Parteipräferenzen haben.

Welche Partei empfehlen Sie Christen?

Als Katholisches Büro arbeiten wir mit allen demokratisch gewählten Parteien zusammen und führen Gespräche mit ihnen – mit Ausnahme der AfD, weil sie Positionen einnimmt, die mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar sind. Bei den anderen Parteien müssen wir uns an den Kriterien und Prinzipien orientieren, die wir als Christen haben und dann eine persönlich zu verantwortende Entscheidung treffen. Was ich empfehle, ist, zur Wahl zu gehen.