Wenn Kinder trauern

Kind spielt in Pfütze
Bild: AdobeStock.com, JenkoAtaman

Nichts ist mehr, wie es einmal war: Wenn Kinder einen nahestehenden Menschen verlieren, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie und oft auch die Erwachsenen um sie herum fühlen sich verzweifelt und hilflos. Um mit diesem Schmerz umgehen zu können, ist es wichtig, Trauer zu verstehen und ihr einen Raum zu geben. Wie Kinder trauern und wie Erwachsene sie dabei unterstützen können, darum geht es in diesem Interview mit den Trauer-Begleiterinnen Alwine Röckener und Claudia Rolke.

Was bedeutet es für Kinder, wenn jemand aus ihrem nahen Umfeld stirbt?

Alwine Röckener: Kinder bekommen von so einem einschneidenden Erlebnis immer etwas mit, in jedem Alter: Auch ein Säugling merkt ja, wenn die Mutter plötzlich viel weint und die ganze Stimmung zuhause gedrückt ist, Kleinkinder sowieso. Natürlich können sie das noch nicht in Worte fassen und auch noch nicht die ganze Tragweite des Todes begreifen – das kommt erst etwa mit dem Ende der Grundschulzeit.

Claudia Rolke: Leider kommt es häufiger vor, dass Kinder diesen riesen Verlust zu sehr auf sich beziehen. Daraus ergeben sich dann Fragen oder unterschwellige Gefühle: Warum ist Opa gestorben? Warum ist er weg? Hat er mich nicht mehr lieb? Bin ich schuld? Was habe ich falsch gemacht? Aus meiner Erfahrung heraus ist es immer gut, Kinder so aktiv wie möglich in den Trauerprozess mit rein zu nehmen – wenn möglich schon vor dem Tod. Auf jeden Fall aber danach – zur Trauerfeier, zur Beerdigung, wo sie auch einen aktiven Part haben können: den Verstorbenen segnen, Weihrauch schwenken … Aktives Mittun hilft zu verstehen und wirkt Schuldgefühlen entgegen.

Alwine Röckener

Alwine Röckener ist Religionspädagogin und Krankenhaus-Seelsorgerin im Bonifatius-Hospital Lingen. Sie kümmert sich seit über 20 Jahren um trauernde Menschen; erst als Trauerbegleiterin für Erwachsene, seit rund drei Jahren auch als ausgebildete Begleiterin für Kinder und Jugendliche. Zusammen mit einer Kollegin leitet sie in Lingen eine Trauergruppe für Kinder und ist für Fragen zum Thema ansprechbar per E-Mail: alwine.roeckener@hospital-lingen.de oder telefonisch:  0591/910-1264 oder 910-1541.

Alwine Röckener: Eltern denken oft, dass die Konfrontation mit dem Tod zu schwer für Kinder ist und wollen sie schützen, aber es ist viel schwerer für sie, wenn sie merken: Da geht etwas Großes vor und ich bin davon ausgeschlossen. Sterben ist ein Teil des Lebens und wir machen Kinder lebensfähig, wenn wir sie auch auf diesen Aspekt vorbereiten. Natürlich müssen sie dabei altersgemäß begleitet werden.

Was heißt das konkret?

Claudia RolkeClaudia Rolke ist Gemeindereferentin in der Pfarreiengemeinschaft Diepholz, Barnstorf, Sulingen und schon seit langem mit dem Thema Kinder und Trauer beschäftigt. Erste Erfahrungen sammelte sie als Erzieherin, weitere dann als Sozialarbeiterin in der Jugendarbeit. Seit 2016 ist sie im Beerdigungsdienst des Bistums Osnabrück tätig, seit 2017 im Hospiz ZUGvogel in Sulingen als Seelsorgerin engagiert. Dort begleitet sie Sterbende und ihre Zugehörigen. Sie ist für Fragen zum Thema ansprechbar per E-Mail: claudia.rolke@bistum-osnabrueck.de oder telefonisch: 04271/9530681

Wie Claudia Rolke Kindern eine Beerdigung erklärt, sehen Sie hier im Film.

Alwine Röckener: Vor allem, dass man die Dinge benennt, wie sie sind. Das heißt: „Opa ist gestorben und Papa ist deswegen gerade sehr traurig.“ Nicht: „Opa ist eingeschlafen“ – dann müsste er ja wieder aufwachen. Nicht: „Opa musste ins Krankenhausund ist nicht zurück gekommen“ – dann muss das Kind ja Angst vorm Krankenhaus haben. Und auch nicht: „Der liebe Gott hat den Opa zu sich geholt“ – was soll denn an so einem Gott lieb sein?! Und dann müssen Eltern für die Kinder da sein, wenn sie Fragen haben. Kurze klare Antworten reichen Kindern meist aus – auf die Frage, warum Opa gestorben ist, muss nicht seine ganze Leidensgeschichte geschildert werden, es reicht erstmal die Antwort, dass er sehr krank war. Wenn Kinder mehr wissen wollen, fragen sie weiter.

Wie zeigt sich Trauer bei Kindern?

Alwine Röckener: Während sich Trauer für Erwachse häufig wie ein reißender Strom anfühlt, der ihr ganzes Leben wegzuspülen droht, spricht man bei Kindern oft von einer „Pfützen-Trauer“: Kinder springen in die Trauer rein und wieder raus. Sie können in einem Moment ganz furchtbar weinen und im nächsten schon wieder fröhlich spielen – das ist eine Art Selbstschutzmechanismus: Der Körper mutet ihnen nur so viel Trauer zu, wie sie gerade verkraften können.

Claudia Rolke: Ich habe schon oft erlebt, dass Kinder sehr gut und lange weinen können und man kommt gar nicht an sie ran, sie lassen sich nicht in den Arm nehmen oder ablenken. Die weinen sich sozusagen leer und das ist super, denn danach geht es ihnen besser und sie können wieder spielen oder sich um andere Sachen kümmern. Wenn das mit dem Leerweinen nicht geht, wenn da immer ein Bodensatz bleibt und etwas verstopft – dann kann das zu schwerwiegenderen Trauer-Reaktionen wie Depressionen führen.

Wie kann man Kindern beim Trauern helfen?

Claudia Rolke: Man muss da gar keine großen Worte finden, entscheidend ist die Haltung: dass man Ruhe ausstrahlt und ihnen signalisiert: Du kannst machen, was du willst und was die guttut – ich bin immer für dich da. Mehr noch: Nicht nur da sein, sondern das Kind mit seinen Bedürfnissen und Stimmungen wirklich wahrnehmen.

Alwine Röckener: Wichtig ist aber auch, Kindern Raum zu geben, sie selbst zu sein – nicht nur das Kind, dessen Mutter gestorben ist, sondern eine eigenständige Persönlichkeit, für die das Leben auch mal ohne Trauer weitergehen muss und soll und darf. Natürlich sprechen wir in der Kinder-Trauergruppe über Tod und Trauer, aber es gibt auch Zeiten, in denen wir einfach nur gemeinsam spielen und Spaß haben und über ganz andere Dinge reden.

Was, wenn die Trauer nicht vergeht?

Weitere Infos

Alwine Röckener: Ganz wichtig ist: Trauer ist keine Krankheit, sondern die natürliche Reaktion der Seele auf einen Verlust. Jemand hat mal gesagt: „Trauer ist nicht das Problem, sondern die Lösung.“ Trauer ist hart und tut weh, aber man muss da durch, denn nur so kann man lernen, mit Verlust umzugehen. Manche Kinder sind in solchen Extremsituationen wütend und aggressiv oder sehr still und verschlossen oder sie fallen in ihrer Entwicklung zurück, machen wieder ins Bett oder die Leistungen in der Schule lassen nach. All das ist normal. Dieser Prozess kann je nach Kind ein paar Wochen oder Monate dauern und auch nach Jahren immer wieder mal aufbrechen.

Claudia Rolke: Falls ein Kind dauerhaft in einer allgemeinen Lustlosigkeit feststeckt, wenn es gar nicht mehr in die Kita will, nicht schlafen kann oder nicht mehr aus dem Bett kommt, wenn Eltern keinen Kontakt mehr aufbauen können und das Kind nicht mal mehr auf sein Lieblingsessen Lust hat, wenn der Alltag zur Qual wird – dann sollten Eltern sich professionelle Hilfe suchen, zum Beispiel von der Familienberatung (Link zu efle), von Kinderpsychologen oder vom Trauerland in Bremen oder Osnabrück (Links!), die sich auf die Arbeit mit trauernden Kindern spezialisiert haben.

Sollte jedes trauernde Kind zur Trauerbegleitung gehen?

Alwine Röckener: Wer in einem gesunden Beziehungsgefüge lebt und über eine gewisse Resilienz verfügt, kann gut selbst durch Trauerphasen kommen. Allerdings ist, wenn Kinder Angehörige verlieren, ihr Beziehungssystem meistens nicht mehr in Takt: Wenn Vater, Mutter oder Geschwister sterben, sind die übrigen Bezugspersonen auch davon betroffen und haben oft nicht die Kraft, das Kind in seiner Trauer angemessen zu begleiten. Dann ist ein Unterstützungsangebot wie unseres hilfreich, weil wir für beide einen Raum zum Trauern und Reden bieten: für Kinder und deren Eltern. Solche Trauergruppen können Kindern auch deswegen helfen, weil die dort Gleichaltrige treffen, die in einer ähnlichen Situation sind. Im Alltag sind sie ja meist das einzige Kind in Trauer.

Warum engagieren Sie sich in der Seelsorge für Sterbende und Trauernde?

Das Wichtigste in Kürze

  • Erwachsene sollten mit Kindern immer ehrlich über den Tod reden. Kinder brauchen altersgerechte Informationen, um einer existenziellen Situation wie dem Sterben begegnen zu können. Sie möchten nicht ausgeschlossen, sondern mitgenommen werden. Dabei können Erwachsene ihnen ruhig etwas zutrauen.
  • Kinder brauchen 1. Gelegenheit, Abschied zu nehmen – sei es auf der Beerdigung oder in einer anderen Situation, im Krankenhaus oder bei einer Trauerfeier. Außerdem brauchen sie 2. die Möglichkeit, sich zu erinnern: mit Hilfe von Erinnerungsstücken und -orten genauso, wie mit Gesprächen über Verstorbene. Zusätzlich brauchen sie 3. Freiräume, in denen sie nicht „das trauernde Kind“, sondern einfach nur sie selbst sind.
  • Erwachsene sollten die Sprunghaftigkeit und die Individualität kindlicher Trauer akzeptieren und auf sie eingehen. Außerdem dürfen sie ihre eigene Trauer zeigen. Bei Bedarf sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden!

Claudia Rolke:  Als Christin lebe ich aus der Hoffnung, dass mein Wesen nicht mit meinem Tod mit stirbt. Ich glaube an ein – wie auch immer geartetes – Weiterleben. Diese Botschaft möchte ich den Menschen anbieten. Ich nehme Fragende mit in die Bilder der Bibel, die das Himmelreich beschreiben und die mir viel bedeuten. Diese Geschichten berühren den Wesenskern der menschlichen Existenz: Du wirst in deinem Sterben nicht zugrunde gehen, du wirst leben, weil Gott dich über alles liebt. So kann ich auch Kindern vermitteln: Oma hat dich nicht verlassen, die ist auch nicht einfach weg – sie ist jetzt bei Gott. Dort geht es ihr gut und dort wirst du sie irgendwann wiedersehen.

Alwine Röckener: Ich engagiere mich, weil ich selbst Hilfe gesucht und zunächst keine gefunden habe, nachdem ich zwei Kinder in der Schwangerschaft verloren habe. Dabei ist es doch eine Kernaufgabe des christlichen Glaubens, Menschen in solchen existentiellen Situationen zu begleiten. Ich bin überzeugt, dass wir aus unserem Glauben heraus etwas Besonderes können, nämlich eine „frohe Botschaft“ verkünden. Und ich empfinde es inzwischen wirklich als Geschenk, dass ich das kann: aus meinem Glauben heraus Hoffnung weiterzugeben.