Wenn Singen verbindet

Ob klassischer Kirchenchor oder moderner Gospelchor – gemeinsames Singen ist gut für die Gesundheit und fördert die Gemeinschaft. Zwei Ensembles aus Osnabrück zeigen aber: Chorgesang ist noch viel mehr!
Wer donnerstagabends an der Osnabrücker Johanneskirche vorbeispaziert, hat ihn vielleicht schon erhaschen können: den andächtigen Klang, der entsteht, wenn fünfzig Menschen einem Lied ihre Stimmen geben. Mendelssohn, Paulus-Oratorium. Das probt an diesem Abend der Johannis-Chor. Die Sängerinnen und Sänger halten Notenhefte in den Händen. Die Gesichter gerötet. Die Münder mal zu großen, mal zu kleinen Os gerundet. Konzentriert schauen sie zum Klavier und zu ihrem Chorleiter, der den Ton angibt. Wenn Christian Joppich Klavier spielt, dann sitzt er nicht. Im Stehen lässt er seine Finger über die Tasten fliegen, nimmt sie nur kurz weg, wenn er in den Noten blättert, die auf dem Klavierdeckel liegen. „Nein, nein, nein“, ruft er zum wiederholten Mal an diesem Abend und bricht das Klavierspiel ab. Stotternd endet der ruhige, fast episch klingende Gesang. „So. Nochmal. Eins, zwei!“, sagt Joppich bestimmt, drückt die Tasten auf dem Klavier jetzt vehementer als zuvor. Der Chor zieht mit.
Singen ist Kommunikation
„Denn wir haben ihn hören sagen“, klingt es durch den Bürgersaal an der Johanniskirche. Jetzt wirkt Joppich zufrieden. „Ja, super!“, sagt er lachend. Er müsse ja auch ab und an mal Loben, schiebt er nach. Schmunzelnd kommt aus den Reihen des Chors: „Aber erst nach vier Mal kritisieren.“ Joppich beschreibt sich jedoch nicht als strengen Lehrer. Vielmehr gehe es um Genauigkeit, und das sei wichtig. Nur so kann Neues richtig gelernt werden – und die Bereitschaft bringt sein Chor mit. So gelingt es den Sängerinnen und Sängern, aus ihren vielen unterschiedlichen Stimmen am Ende ein harmonisches Ganzes zu zaubern. „Wie Seelen, die sich verbinden“, sagt der Chorleiter.
Weitere Infos
- Hier erfahren Sie mehr zu Chormusik im Bistum Osnabrück.
- Sie haben Lust bekommen, in einem Chor zu singen? Fragen Sie doch einmal in Ihrer Kirchengemeinde nach, welche Chöre bei Ihnen vor Ort proben.
- Weitere Infos und musikalische Termine im Bistum Osnabrück finden Sie auch auf der Internetseite der Kirchenmusik im Bistum Osnabrück.
- Wie Musik die Menschen zum Klingen bringen kann, das erzählt die Theologin Stefanie Lübbers hier.
„Singen im Chor ist Kommunikation, ist was für Kopf und Herz“, sagt Karin Heuer, die bereits seit 38 Jahren in dem klassischen Kirchenchor singt. „Die anderen Stimmen tragen einen durch das Lied.“ Sie erklärt, dass sie nicht nur für sich selbst singt, sondern auch für die anderen. Denn: „Singen im Chor ist etwas, bei dem wir aufeinander reagieren, wir zusammenarbeiten.“ Chorgesang sei eine gemeinsame Anstrengung, bei der über niemanden geurteilt werde. Weder wenn Töne nicht passten, Takte, Höhen oder Einsätze verpatzt würden. Der Chor sei eine Familie, eine große Freundesgruppe. Eine, die sich jede Woche zum Singen trifft. Wie in jeder Gemeinschaft, gibt es auch im Chor Regeln, so Heuer: „Man muss lernen, sich auch mal zurücknehmen“. Man solle zum Beispiel nicht zu laut, aber auch nicht zu leise singen. Also so, dass Nebenfrau und -Mann sich beim eigenen Singen an dem Gesang der anderen orientieren können.
Das sei das Besondere am gemeinsamen Singen. „Wir nehmen hier alle Rücksicht aufeinander“, sagt Heuer. Und, gibt sie zu, das Schönste sei jedoch: Wer singt, der hört gleichzeitig zu. „Wenn wir alle singen, dann mischt sich das alles“, sagt sie. „Man ist dann plötzlich so viel intensiver bei sich und gleichzeitig trotzdem beim anderen.“
„Wie eine Umarmung fühlt sich das an.“

Für den Chorleiter Joppich ist Singen die Ur-Ausdrucksform des Menschen. Geschehe das dann in Gemeinschaft, entstehe automatisch Harmonie. „Wenn wir gemeinsam ins Schwingen kommen“, sagt er. „Dann haben wir alles richtig gemacht.“ Singen, eine Ur-Form sich auszudrücken?
Ja, sagt auch die Ergotherapeutin Lisa Saurin. Seit 15 Jahren singt sie im Johannis-Chor, hat dort Freundschaften gefunden, Familie, Harmonie. „Der soziale Zusammenhalt hier ist schon besonders.“ Doch nicht nur im Privaten spielt Chormusik bei Saurin eine Rolle, auch beruflich. Während der Corona-Pandemie erlebte sie, wie sehr ihr das Singen im Chor fehlte. „Als ob mir jemand ein Stück von meinem Körper weggenommen hätte.“ Diese Erfahrung führte sie zur Weiterbildung: Körperorientierte Musiktherapie.
Singen ist gesund
Darum weiß sie: „Singen ist gesund, vor allem, wenn man es gemeinsam tut.“ Glückshormone werden ausgeschüttet, Stresshormone abgebaut. Eine halbe Stunde singen reicht aus, um das Kuschelhormon Oxytocin zu produzieren. Chorgesang kann besonders auch für Kinder gut sein, fördert die soziale Integration. Saurin sagt: „Wer im Chor singt, ist Teil eines Ganzen.“ Und das Ganze funktioniere nur, wenn alle regelmäßig zu den Proben erscheinen, jeder das singt, was er soll. Wer im Chor singt, der lernt die kleinen Regeln der Gesellschaft. Gleichzeitig bekäme man viel zurück. „Singen im Chor“, sagt Saurin, „wie eine Umarmung fühlt sich das an.“

Diese Umarmung, die im Johannis-Chor von klassischen Klängen begleitet wird, findet ihren eigenen Ausdruck in einem ganz anderen Osnabrücker Chor. Am Freitagabend verwandelt sich der Gemeindesaal der Matthäuskirche in einen Ort pulsierender Energie. Dann probt der Gospel-Chor Voices of Worship. Statt Notenblättern gibt es iPads. Statt gedämpfter Klang, durch Mikrofone verstärkte Stimmen aus Lautsprechern. Zwanzig Menschen stehen im Halbkreis um ein Klavier, an dem ihr Chorleiter Kai Lünnemann sitzt. Daneben: Schlagzeug, Bass, E-Gitarre. Dicke schwarze Kabel quellen aus Musikboxen und einem Mischpult hinter Lünnemann hervor und verteilen sich über den Boden des Raums.
Singen ist Energie
Eine junge Frau hat ihre Hand auf ihrem Herzen, singt inbrünstig, immer wieder reckt sie die Arme in die Luft und über den Kopf. Ein Mann singt, wippt dabei mit dem Fuß im Takt, hat die Augen geschlossen, den Kopf im Nacken. Wer hier singt, ist in Bewegung, tanzt, bebt. Wenn Lünnemann zufrieden ist, ruft er: „Yes“. Nimmt dann die Hände kurz vom Klavier, klatscht den Takt mit den Händen mit. Missfällt ihm etwas, ruft er „Stopp, Stopp, Stopp“. Zeigt auf die rechte Seite des Chors: „Da müssen wir nochmal ran.“
Die Chöre
Der Johannis-Chor Osnabrück singt klassische und geistliche Chormusik aus allen Epochen. Am 24. Mai um 18 Uhr feiert der Chor sein 150-jähriges Jubiläum und führt dann das Oratorium Paulus von Felix Mendelssohn Bartholdy auf. Seit 2002 leitet Christian Joppich den Chor.
Der Gospel-Chor Voices of Worship bewegt sich musikalisch überwiegend im Bereich der englischsprachigen Christlichen Popularmusik. Das Programm wird außerdem durch Eigenkompositionen des Chorleiters Kai Lünnemann ergänzt. Er hat den Chor vor 13 Jahren gegründet.
In der Pause haben sich ein paar der Sänger mit Lünnemann vor der Tür des Gemeindesaals versammelt. Abkühlen, frische Luft holen. Der Chorleiter sagt: „Man merkt, dass hier Energie drinsteckt. Das ist ein großes Element bei uns.“ Manchmal komme nach Auftritten die Rückmeldung, dass es zu laut gewesen sei. Lünnemann sagt dann: „In den Noten steht Fortissimo“ und erklärt: „Das heißt ja auch laut.“
Singen ist mehr
Insa Zimni und Uwe Hegemann nennen sich die „Chor-Eltern“ der Voices of Worship. Sie sind seit 13 Jahren dabei, seit der Gründung des Chors. Zimni leitet eine Grundschule in Bramsche. Die monatliche Chorprobe – ein willkommener Ausgleich. Seit ein paar Jahren ist auch ihre Tochter ein Teil des Chors, das bedeutet ihr viel. „Langsam aber sicher habe ich mich im Griff´“, sagt Zimni, „und ich muss nicht mehr immer weinen, wenn sie singt oder wir gemeinsam auf der Bühne stehen.“ Vor Freude und aus Stolz.

Es geht auch den beiden beim Singen um mehr als nur Musik. „Dass wir alle gemeinsam durch die Jahre gehen“, sagt Hegemann. „Das ist einfach wunderschön. So, wie in einer richtigen Familie.“ Zusammen hätten sie so Einiges gestemmt. Anspruchsvolle Stücke, Alltagsprobleme und mehr. Man stütze sich gegenseitig. Hegemann sagt: „Wir sind alle so unterschiedlich. Aber wenn wir anfangen zu singen, ist das egal.“ Zimni stimmt zu und sagt: „Dann schaltet irgendwas um, wie so ein Kippschalter in einem drin. Und wenn wir auf der Bühne stehen, sind wir eins.“
