Zusammen gegen Antisemitismus

Hände halten zusammen
Bild: AdobeStock.com, Robert Kneschke

„Wer eine Gesellschaft mit weniger Antisemitismus will, muss in Schule aktiv werden.“ – so lautet ein wichtiger Satz in der Beschreibung des ökumenischen Gütesiegels „Zusammen gegen Antisemitismus“. Das Siegel wurde jetzt erstmals an sechs kirchliche Schulen verliehen: Die BBS Marienhausschule Meppen, das Gymnasium Marianum Meppen, das Evangelisches Gymnasium Nordhorn, die Ursulaschule Osnabrück, die Domschule Osnabrück und die Thomas-Morus-Schule Osnabrück.

Zusammen gegen Antisemitismus

Initiiert wurde das Siegel von der Schulstiftung des Bistums Osnabrück und der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachen mit dem Ziel, für antisemitische Worte und Taten zu sensibilisieren. Darüber hinaus soll durch die Arbeit für das Siegel mehr Wissen über die Geschichte des Judentums in Deutschland und über das heutige religiöse Leben von Jüdinnen und Juden vermittelt werden. Im Interview erzählen der Schulleiter der Thomas-Morus-Schule, Matthias Wocken, und die Antisemitismus-Beauftragte der Schule, Sigrid Mäscher, warum das Siegel für sie so wichtig ist:

Herr Wocken, wie hat sich die Thomas-Morus-Schule durch die Arbeit am Gütesiegel verändert?

Wir sind noch sensibler geworden. Ich bin ganz ehrlich: Als vor zwei Jahren die Aufforderung der Schulstiftung kam, sich für das Siegel zu qualifizieren, fand ich die Vehemenz, mit der dazu aufgefordert wurde, besonders – zumal dieser Themenbereich bei uns an der Schule traditionell schon immer eine große Rolle spielte. Wir haben sehr wache Fachbereiche Religion und GSW (Geschichte, Politik, Erdkunde) und haben uns in den letzten Jahren intensiv mit jüdischer Vergangenheit in der Stadt Osnabrück beschäftigt, hatten die Zweitzeugen mehrfach in der Schule und Verantwortliche vom Projekt „Judentum begreifen“ zur Vorbereitung unserer ersten Auschwitz-Fahrt hier an der TMS. Auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte beider Weltkriege fand und findet in unterschiedlichen Projekten statt.

Aber im Laufe der Arbeit am Siegel habe ich gemerkt: Der besondere Blick auf die Thematik Antisemitismus ist virulent. Inzwischen haben uns ja die aktuellen Ereignisse überholt, die Relevanz des Einsatzes gegen Antisemitismus ist erschreckend hoch. Deswegen bin ich dem damaligen Vorsitzenden der Schulstiftung, Dr. Winfried Verburg, der wesentlich für die Idee des Siegels verantwortlich ist, dankbar. Dankbar, dass er damals schon gespürt hat: Es braucht mehr, als wir schon tun. Das Thema hat eine wahnsinnige Brisanz und wir müssen in diesem Bereich aktiv sein. Deswegen bin ich auch wirklich froh, dass wir uns gemeinsam, im Sinne unserer verbindenden Charta, mit den anderen niedersächsischen Oberschulen der Schulstiftung auf diesen Weg gemacht haben und dass alle das Siegel erhalten werden.

Um das Gütesiegel zu bekommen, musste jede Schule verschieden Kriterien erfüllen. Dazu gehört u.a. auch die Beauftragung einer Person für den Bereich Antisemitismus an der Schule. Frau Mäscher, sie haben sich bereiterklärt, diese Position zu übernehmen – was ist Ihnen von der Arbeit am Siegel besonders in Erinnerung geblieben?

Thomas-Morus-Schule

Die Einrichtung eines festen Gedenktages – bei uns der Anne Frank Tag am 12. Juni – das ist wirklich etwas, wozu wir super mit den Schüler*innen gearbeitet haben. Es gibt da tolles Material vom Anne Frank Zentrum in Berlin, das haben wir jetzt schon zwei Jahre hintereinander genutzt. Die Fortbildungen für das gesamte Team der TMS haben bleibenden Eindruck hinterlassen, zum Beispiel der Besuch in der jüdischen Gemeinde. Besonders wichtig war mir aber die Einführung unseres Handlungskonzepts. Diese Vereinbarung von Regeln zur Intervention bei antisemitischen oder rassistischen Beleidigungen/Beschimpfungen haben alle Gremien der Schulgemeinschaft ohne Wenn und Aber beschlossen. Wobei wir auf dem Schulhof antisemitische Beschimpfungen nicht hören, das möchte ich betonen. Aber wir sind ja auch Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage und arbeiten schon lange im Bereich der Demokratieerziehung. Klar gab und gibt es schon mal Einzelfälle, in denen zum Beispiel unflätig über eine Person of Colour gesprochen wurde oder Hakenkreuzschmierereien im Schulheft. In diesen Fällen reagieren wir entsprechend des vereinbarten Handlungskonzepts. Dass wir bei so etwas jetzt noch bewusster ins Gespräch gehen mit den Schülerinnen und Schülern, das finde ich richtig gut. Nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit der Frage: Was bewegt dich, wie kommt es, dass du so was machst?

Warum ist es für eine Schule wichtig, sich gegen Antisemitismus einzusetzen?

Mäscher: Das möchte ich direkt weiter fassen: Wir wollen uns nicht nur gegen Antisemitismus einsetzen, sondern auch gegen Antiziganismus und Muslimfeindlichkeit sowie überhaupt gegen jegliche Form von Diskriminierung. Wir sehen den Menschen und möchten, dass die Person respektiert wird, so dass jede und jeder hier bei uns angstfrei leben kann und sich bewusst für andere einsetzt.

Wocken: Mich treibt da ein ganz altbacken erscheinender Leitgedanke für unsere Schule um: Anständigkeit. Es geht hier darum, dass wir unsere Schüler*innen darin unterstützen, mündige Bürger*innen zu werden, um nach der Schulzeit die Chance zu haben, anständig im Leben zu stehen. Wenn wir das schaffen, dann sind wir, glaube ich, auf dem richtigen Weg.

Weitere Infos

Die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und die Schulstiftung im Bistum Osnabrück haben am 22. November 2023 erstmals das ökumenische Gütesiegel „Zusammen gegen Antisemitismus“ an sechs Schulen verliehen. Das Gütesiegel wurde unter Mitwirkung des Zentralrates der Juden in Deutschland entwickelt und wird künftig an weitere kirchliche Schulen vergeben werden, die die Kriterien erfüllen. Detaillierte Informationen dazu gibt es hier auf der Internetseite der Schulstiftung.

Mäscher: Genau – und sie sollen sich einsetzen und positionieren: eine Meinung haben, laut sprechen. Sag was du denkst, begründe was du denkst und folge nicht einfach irgendwelchen Pfeifenspielern – das versuchen wir, zu vermitteln.

Wie gehen sie an der Schule mit den aktuellen Ereignissen in Israel und Palästina um?

Wocken: Aus meiner Sicht gibt es zwei Wege, wie wir mit den Ereignissen umgehen. Der erste Weg – und der ist mir persönlich als Schulleiter sehr wichtig – ist: Bei aller Krisenhaftigkeit der Welt müssen die Schüler*innen bei uns das Gefühl haben: Wir erleben Freude und zwar jeden Tag. Und sie sollen Sicherheit fühlen, damit sie gerade stehen und wachsen können – andernfalls ist es ihnen nicht möglich, diese ganzen Krisen, dieses aktuelle Kuddelmuddel zu bewältigen, zu verarbeiten – auch als Erwachsene nicht. Und daneben ist die Behandlung der Thematik erstens in dem Moment, in dem sie aufploppt, zwingend und zweitens, wenn wir feststellen, wir brauchen jetzt weitere Erläuterungen, damit die Schüler*innen gut leben können, ebenso zwingend. Also das Ganze wird sowohl im Fachunterricht als auch in der Verfügungszeit mit den Klassenlehrer*innen ausführlich thematisiert. Sollte die Expertise von Gästen hilfreich sein, laden wir sie ein.

Mäscher: Ich bin entsetzt, dass uns das Thema gerade dermaßen überholt hat. Vorher haben wir immer von einem antisemitischen Grundrauschen in Deutschland gesprochen und ich bin geplättet, wie konkret Antisemitismus plötzlich wieder ist. Dass Menschen den Terrorakt in Israel gefeiert haben, finde ich grauenvoll.