Gesicht zeigen

Gesicht einer Frau
Bild: unsplash.com, Christopher Campbell

Von 1968 bis 1981 war François Kardinal Marty Erzbischof von Paris. Von ihm ist folgende kleine Begebenheit überliefert:

Der Kardinal musste zu einer Konferenz in der Innenstadt von Paris. Sein Fahrer sagte zu ihm. „Ich kann hier nirgendwo parken. Ich lasse Sie jetzt heraus. Die zwei Stunden bis zum Ende der Konferenz werde ich immer um den Block herumfahren. Sie müssen dann am Straßenrand stehen und nach mir Ausschau halten, und ich werde nach Ihnen Ausschau halten. Wenn ich Sie sehe, kann ich ganz kurz anhalten, und Sie müssen ganz schnell einsteigen.“

Gesagt, getan. Während der Kardinal nach der Konferenz am Straßenrand stand und aufmerksam auf die Straße schaute, spürte er, dass von hinten jemand an seinem Mantel zupfte. Der Kardinal sah, dass sich ihm die Hand eines Bettlers entgegenstreckte.

Ohne den Blick von der Straße abzuwenden, kramte der Kardinal ein paar kleine Münzen aus der Jackentasche und drückte sie dem Bettler in die Hand. Der sagte: „Du bist doch der Kardinal.“ „Ja.“ „Du, von Dir brauche ich mehr – von Dir brauche ich Dein Gesicht.“

Über den Autor

Theo Paul ist Generalvikar und damit Stellvertreter des Bischofs und Leiter der Verwaltung des Bistums. In seinen Blogbeiträgen greift er gerne aktuelle Themen auf.

Christsein mit Gesicht – Seelsorger/innen, die Gesicht zeigen. Kirche, die ein Gesicht hat, dafür wirbt Papst Franziskus. Was mich an dieser Geschichte aus Paris beeindruckt: Der Kardinal lässt sich von dem Bettler konfrontieren. Wir sind mit Blick auf die Bettler nicht nur die Gebenden, sondern oft auch die Empfangenen.

In den zurückliegenden Jahren habe ich einen vielfältigen Kontakt zu den Fremden auf der Straße aufgebaut. Immer wieder berichten sie mir, welche Erfahrungen sie mit Beratungsdiensten und kirchlichen Stellen machen. Erleichtert erzählen sie von Begegnungen, in denen sie sich ernstgenommen gefühlt haben, wo sie geachtet wurden, wenn es auch nur kurze Augenblicke waren.

Ein Kommentar zu “Gesicht zeigen

  1. Lieber Herr Paul!

    Mit großem Interesse habe ich die kleine Begebenheit gelesen. Sie gefällt mir sehr gut und ermuntert mich, Ihnen eine andere kleine Begebenheit zu schreiben.

    Eine Nordhorner Pfarrgemeinde feierte ihr 75-jähriges Kirchweihfest. Dazu suchte sie ein überzeugendes Motto. Der Pfarrer und das Vorbereitungsteam lobten einen Preis aus. Eine Frau (meine Frau) lieferte den Spruch: „Wir sind lebendige Steine“ Sie gewann den Preis und verfasste eine Geschichte dieser Gemeinde. Der Pfarrer wurde versetzt, die Frau fragte nach Monaten nach dem Preis. Schließlich war ihr ein Essen mit dem Bischof in seinem Haus versprochen worden. Der neue Pfarrer beauftragte den Diakon sich zu kümmern. Er organisierte ein halbstündiges Gespräch mit dem Bischof, an dem auch ihr Ehemann und der Diakon mit seiner Frau teilnehmen durften. Meine Frau teilte dem Diakon mit, dass sie nur mit ihrem Ehemann den Bischof besuchen möchte. Wir fuhren nach Osnabrück und freuten uns auf den Besuch beim Bischof. Mit ihm über seine Arbeit, die Situation in der Diözese und die Zukunft unserer Kichre ins Gespräch zu kommen, fanden wir sehr spannend. Als wir vor seinem Haus standen, eröffnete uns unser Pfarrer – er hielt sich zu einer Tagung im Priesterseminar auf -, dass der Bischof uns ohne den Diakon nicht empfangen wird. Das haben wir nicht verstanden. Wir hofften, dass uns der Bischof eine Erklärung anbieten würde. Das geschah nicht. Meine Frau schrieb ihm einen Brief und fragte nach Gründen seiner Verweigerung. Eines Abends rief er an und teilte meiner Frau mit, dass er geglaubt hatte, dass „sie sich an ihn ranschmeißen” wolle. Wir wollten kein „Ranschmeißen”, wir wollten eine Begegnung und ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

    Mit freundlichen Grüßen
    Bernd Schulten

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