Antwort von Landessuperintendentin Birgit Klostermeier

Landessuperintendentin Birgit Klostermeier
Bild: Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers

Lieber Bruder in Christus, wie gern stimme ich Ihnen zu, entdecke ja darin das sich Ergänzende und auch die Annäherung. Ja, Gott traut dem Menschen zu, die Welt zu gestalten. Eine Schöpfungskraft, Kreativität und Lust.

Die Freiheit im Glauben ist auch eine Freiheit zu handeln und zu gestalten im Sinne der göttlichen Gebote. Dafür müssen wir angerührt und berührt werden. Nicht ohne Grund schätzen wir das Sakramentale und sinnlich Erfahrbare in katholischen Gottesdiensten, nicht ohne Grund haben wir für unsere evangelischen Gottesdienste vieles davon wiederentdeckt.

Und Protestanten gehen ja nicht mehr zerknirscht und sich selbstzerfleischend durch die Welt, wie manches Klischee es nahelegte. Obwohl – die Katholiken wahrscheinlich immer noch besser Karneval feiern können…

Wenn ich auf die Ökumene vor Ort sehe, in Osnabrück und im Osnabrücker Land, habe ich den Eindruck, dass in der gelebten Frömmigkeit die Unterschiede kaum noch auszumachen sind, so viel Annäherung und Gemeinsames wird erlebt.

Zugleich und eben deshalb wird das Trennende umso schmerzhafter erfahren: Das Abendmahl, das Kirchenverständnis, das priesterliche Weiheamt, das Papstamt… – das Priestertum aller Gläubigen…

Diese sich ausschließenden Verständnisse und die damit verbundenen Regelungen sind immer wieder eine andere Tür, ein Einfallstor für Kränkung und das Gefühl von Ohnmacht, nicht dazuzugehören, nicht respektiert zu werden. Die Sehnsucht nach sichtbarer Einheit läuft ins Leere. Unverständnis und Kopfschütteln bei denen, die nicht verstehen können, was hindert.

„Wann heben Sie denn die Trennung der Kirchen auf?“, bin ich oft gefragt worden in diesem letzten Jahr, quer durch alle Konfessionen und Nicht-Konfessionen.

Und es klingt, als würden wir als Kirche erst glaubwürdig, als hätte das Reformationsjahr erst dann Sinn gemacht, wenn wir alles Trennende überwunden und eine sichtbare Einheit der Kirche geschaffen haben.

Aber frage ich mit unseren beiden Bibeltexten: Ist das die Tür, um die es geht? Oder ist es eine, hinter der nur wieder eine neue Gesetzlichkeit lauert? Glaubwürdig durch Einheit? Ein neues Rühmen, schaut her, was wir können?

Das aber haben wir nicht nötig. Christus ist die Tür. Nicht wir als Kirchen.

So schmerzlich das Trennende ist, das uns Verbindende ist größer als wir es sind. Der immer größere Gott macht sich in Christus so klein und kommt so nah, dass wir eine menschliche Kirche sein können. Nicht nur den Menschen zugewandt, sondern eben eine Kirche wie Menschen sind, auch verletzlich und fehlbar.

So stellt Gott uns als Kirchen in diese Welt und in diese Zeit. Eine säkulare Welt und zugleich zutiefst sehnsuchtsvolle Welt.  Eine Zeit der politischen Wirrnisse und technologischen Umbrüche, komplex und kompliziert, in der Menschen einfache Antworten und überschaubare Formen erwarten.

Was ist unsere Aufgabe darin?

Vielleicht die, gerade mit dem uns Trennenden und dem auch nicht Versöhnten gemeinsam weiterzugehen. Eine Einheit zu sein, die Widersprüche wahrt und aushält und eben darin eine verletzliche Einheit bleibt.

Der immer größere Gott, der sich in die Tiefen des Menschlichen begibt, ist ja kein Gott der menschlich einfachen Lösung. Kreuz und Auferstehung – das heißt auch einander aushalten, durchhalten, beieinander bleiben und miteinander gehen. Der Auferstandene ist das Nein Gottes zu jeder Form menschlicher Ausgrenzung und er ist das Ja Gottes, barmherzig zu sein.

Deshalb, ja, lieber Bruder Bode, sola fide und sola gratia, liebe Schwestern und Brüder, ist es möglicherweise unsere Aufgabe durch Christus wie durch eine Tür zu gehen und zwar als Verschiedene und Getrennte und durch Christus zu Gemeinsamen zu werden.

Wir sind auf der Schwelle, auf der wir auch ziehen und schubsen, auch streiten müssen – und es können, gelassen, in aller Freiheit.

Denn es geht ja darum, dass wir gemeinsam tun, was dran ist. Für den Menschen und mit den Menschen da zu sein. Eine Stimme in dieser Gesellschaft und in dieser Welt zu sein. Handeln. Für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit. Gott in dieser Welt als Geheimnis wahren. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge“ spricht Christus.

Vielleicht spüren wir mehr als zuvor, dass der Weg der Kirchen ein Pilgerweg ist. Fremde zu sein, Fremde auch einander,  und auf dem Weg, noch nicht angekommen, in der Offenheit, dass die Vollendung noch aussteht, dass wir noch nicht wissen, wer wir sein werden. Aber doch in der Gewissheit, genau so von Gott getragen und geführt zu werden.

Über die Schwelle gehen mit den Brocken der Vergangenheit und mit den Reichtümern und Charismen unserer Traditionen. Gepäck abgeben, verschenken, für den anderen tragen, auch miteinander teilen. Gemeinsame Wegzeiten. Gemeinsame Nahrung.

Heute im Gottesdienst ist es für uns alle das Schwarzbrot. Vielleicht wird es morgen für konfessionsverschiedene Ehen die gemeinsame Mahlfeier sein. Übermorgen das von so vielen ersehnte Abendmahl für alle.

Vielleicht aber auch noch nicht. Dann soll uns das doch nicht aufhalten, miteinander barmherzig zu sein und einander nicht zu viel zuzumuten, und einander im Blick zu haben. Das soll uns doch nicht aufhalten, gemeinsam weiter auf dem Weg zu sein, durch Türe, Tore und Pforten in neue Räume zu gehen und gestalten und handeln und mit und bei Anderen sein, in Gemeinden, Schulen, Krankenhäusern, auf Bahnhöfen, in Flüchtlingslagern, Akademien, in Kathedralen, Kapellen und auf Plätzen.

Diese eine Tür nur müssen wir hinter allen Türen und Toren suchen, einander zeigen oder zeigen lassen. Diese eine Tür, aus der das Paradies von weitem leuchtet. Diese, die niemand schließen kann. Und dann gehen, erwartungsvoll, offen, voller Zutrauen, dass Gott zu Ende bringen wird, was er angefangen hat.