Bischof Franz-Josef Bode zu Johannes 10, 1-9

Bischof Franz-Josef Bode
Bild: Bistum Osnabrück

Amen, amen, ich sage euch: Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht, ist der Hirt der Schafe. Ihm öffnet der Türhüter und die Schafe hören auf seine Stimme; er ruft die Schafe, die ihm gehören, einzeln beim Namen und führt sie hinaus. Wenn er alle seine Schafe hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus und die Schafe folgen ihm; denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen. Dieses Gleichnis erzählte ihnen Jesus; aber sie verstanden nicht den Sinn dessen, was er ihnen gesagt hatte. Weiter sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber; aber die Schafe haben nicht auf sie gehört. Ich bin die Tür; wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden; er wird ein- und ausgehen und Weide finden.
(Johannes 10,1-9)

 

Liebe Frau Dr. Klostermeier, liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Die Tür ist heute das besondere Symbol dieses Gottesdienstes: Türen, gestaltet von Schülerinnen und Schülern mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihren Wünschen und Hoffnungen.

Die Tür spielt jeder Religion, in jeder Glaubensgeschichte als Zugang zum Heiligen eine besondere Rolle. Die Schwelle, die Tür, das Tor, der Eingang… Keine Beschreibung der Gottsuche kommt ohne diese Bilder aus. Äußerlich werden Pforten, Portale, Tore, Türen, Schwellen, Bögen besonders gestaltet, um den Eintritt in eine andere Wirklichkeit zu kennzeichnen. Innerlich werden diese Begriffe für den Eintritt in eine neue Qualität, in eine neue Gemeinschaft, in einen neuen Lebensabschnitt benutzt.

Verschlossene und geöffnete Türen sind Bilder für Geheimnis und Offenbarung: die Türen zum Allerheiligsten, die Türen des Himmels, die Türen unseres Herzens. Doch der entscheidende Schritt des Menschen vom eigenen biologischen Leben zum Leben in der Fülle Gottes, vom Dasein, das nur sich selbst lebt, in die Gemeinschaft derer, die für Gott und füreinander leben, zum „Schafstall“ des guten Hirten, der die Seinen kennt und liebt und sie frei ein- und ausgehen lässt, führt nicht durch eine Tür aus Holz oder Metall. Er führt vor eine lebendige Person, die selbst Zugang, Tür, Durchgang, Eröffnung eines Wegs und zugleich Wahrung eines Geheimnisses ist.

Ich erinnere mich gern an die Worte eines früheren Hildesheimer Dompredigers, mit denen er einen Menschen beschrieb, der einer Tür gleicht: Er steht an unserem Wege, aber er steht uns nicht im Wege, er ist keine Mauer, die wir überklettern oder gar niederreißen müssten. Er öffnet sich und gibt den Weg frei ins Weite oder in die Geborgenheit – aber er selbst ist nicht diese Weite, diese Geborgenheit, er ist nur die Tür dazu. Die Schwelle will überschritten sein; über sie hinaus geht der Weg, nicht nur zu ihr hin. Über den Menschen hinaus geht der Weg – und wer das weiß, gleicht einer Tür. Er öffnet sich, aber nicht um festzuhalten und ein Gefängnis zu sein. Er lädt uns ein, weiterzugehen, in den Raum, den er uns öffnet, in die Freiheit, die er bezeugt, in die Liebe, die ihn belebt. Er ist der liebende Mensch. Der liebende Mensch ist eine Tür zu Gott.

Vielleicht gibt es nur wenige Menschen, die ganz eindeutig immer eine Tür zu Gott sind, vermutet der Domprediger. Ganz sicher weiß ich es nur von einem, der auch ausdrücklich gesagt hat: Ich bin die Tür – ganz sicher weiß ich es nur von Christus. In ihm ist die Liebe selber bis an die Schwelle unserer Welt gekommen, an die Schwelle unseres Lebens, unserer Schuld, unseres Elends – nein, in ihm ist die Liebe über unsere Schwelle gekommen, mitten in unser Gefängnis hinein, und über die Schwelle hinaus will sie uns zurücktragen ins göttliche Leben.

Jesus selbst ist die Tür. Er will, dass alle Menschen, die ihm folgen, wie Türen sind: offen und transparent, lebendige Zugänge zum Größeren, aber auch verschlossen und diskret, wo es um das unzugängliche, immer größere Geheimnis Gottes geht.

Eine Vertiefung der Selbstaussage Jesu „Ich bin die Tür“ erfahren wir in der Geheimen Offenbarung, in der der Auferstandene selbst der Trost für die Seinen ist, die in Bedrängnis, Unsicherheit, Angst und Verfolgung geraten sind. „Ich kenne deine Werke, und ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“ (Offb 3,8). So spricht der, „der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand mehr schließen kann, der schließt, so dass niemand mehr öffnen kann“ (Offb 3,7). Diese Aussage ist für jeden von uns ein kostbarer Trost: Es gibt einen, der längst vor uns die Tür entriegelt hat zu Gott, zum Mitmenschen, zum Leben in Fülle; es gibt einen, der uns vorausgeht und die Schlüssel hat für unser Leben.

Der hohe Anspruch Jesu, die Tür zu sein – „Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber…“ (Joh 10,8) – darf nicht heruntergespielt werden. Zugleich aber ist mit diesem Anspruch die Zusage verbunden: Diese Tür kann niemand schließen; sie eröffnet das Leben in Fülle. Das hat eine Hauptschule hier auf Ihre Weise ausgedrückt: Die Schülerinnen und Schüler haben eine Tür so manipuliert, dass sie nicht mehr zu schließen ist. Das heißt: Die Tür ihrer Zukunft ist nicht mehr zu schließen. Das ist ihre Hoffnung.

Was das, liebe Schwestern und Brüder, für diese Stunde bedeutet, da wir zum ersten Mal ein Jahrhundertgedenken der Reformation im ökumenischen Miteinander begehen, sollten wir nicht unterschätzen. Von 1517 an schlossen sich über Jahrhunderte viele Türen. Heute, nach so manchem Versuch, einen geeigneten Schlüssel zu finden, gehemmt durch Unebenheiten des Grundes, von Zeit zu Zeit mit verstohlenem Blick durchs Schlüsselloch, heute kommen wir mit dem Wind des Heiligen Geistes im Rücken langsam und unter Knarren dazu, Türen zu öffnen. Wir haben erkannt: Je mehr wir selbst wie Türen sind, liebende Existenzen, wie wir eben hörten, desto mehr öffnen sich Türen auch in der Ökumene. Und je näher wir der eigentlichen Tür sind, die Christus selbst ist, dieser Tür, die für beide Konfessionen ein und dieselbe ist, je mehr sich unser Dasein um Christus, den Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, bewegt, desto mehr öffnen sich Räume der Gemeinschaft und des gemeinsamen Weges in die Zukunft.

Wir mögen uns vielleicht gelegentlich auf den beiden Seiten der Tür gegenüberstehen, mal ziehend und mal schiebend in unserer menschlichen Schwachheit und Gespaltenheit: Christus hat diese Tür schon vor uns geöffnet, und niemand kann sie mehr schließen. Es gibt kein Zurück mehr in völlig getrennte verschlossene Räume, sondern nur die weitere Öffnung des Türspalts, durch den das Licht des Geistes längst gefallen ist und uns erleuchtet und antreibt zu weiteren Schritten.